ETHistory 1855-2005

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Institutionelle Entwicklung

Von der Abteilung XII zum D-GESS

Die heute im D-GESS (Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften) vertretenen wissenschaftlichen Disziplinen können z.T. auf eine lange Tradition an der ETH Zürich zurückblicken. Fächer wie die Sprach- und Literaturwissenschaften, Geschichte, Philosophie sowie Nationalökonomie und Recht waren zum grössten Teil seit der Gründung des Polytechnikums mit eigenen Professuren vertreten. Noch 1980, im Jahr des letzten Jubiläums der ETH, bildeten diese Disziplinen den Kern der Abteilung XII für Geistes- und Sozialwissenschaften. Abgesehen von den stärker in den Unterricht der einzelnen Fachabteilungen integrierten Fächer wie Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, verstanden sich die Geistes- und Sozialwissenschaften nach wie vor hauptsächlich als komplementäre Disziplinen zu den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Kernbereichen der ETH Zürich. Auch der ehemalige Rektor und Chemiker Heinrich Zollinger begründete beispielsweise 1978 die Notwendigkeit der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer damit, dass "sie, und nur sie, das für ein ganzheitliches Denken nötige menschliche und künstlerisch intuitive Moment zu den rein sach- und intellektbezogenen Momenten der anderen Abteilungen beitragen".

Grenzerfahrung Literaturrecherche.
Grenzerfahrung Literaturrecherche.

In den 1980er und 1990er Jahren erfuhr die Abteilung XII einen Ausbau und eine Diversifizierung der Fächer. Zu den bestehenden Professuren kamen neue hinzu, insbesondere in den Bereichen der Wissenschaftsphilosophie (später Wissenschaftsforschung), der Entwicklungszusammenarbeit, der Soziologie, der Konfliktforschung / Sicherheitspolitik und Internationalen Beziehungen, der Technikgeschichte sowie der Sozialpsychologie und Hochschulforschung. Diese neuen Professuren wurden, im Unterschied zu den älteren "Freifach"-Professuren der Abteilung XII, die über keine oder nur eine geringe Infrastruktur verfügten, nun zunehmend auch mit entsprechenden personellen, finanziellen und räumlichen Mitteln ausgestattet.

Auch die Abteilung XII war ab 1990 von der Einführung der Matrixorganisation an der ETH betroffen. Unter dem Dach der Abteilung XII existierten deshalb von 1990 bis 1999 zwei eigenständige Departemente: das Departement für Humanwissenschaften (D-HUWI) sowie das Departement für Recht und Ökonomie (D-REOK). 1999 wurden beide mit der ehemaligen Abteilung XI für Militärwissenschaften im neu geschaffenen, um die Staatswissenschaften erweiterten D-GESS zusammengeführt.

Seit den 1990er Jahren wurde die traditionelle Rolle der Geistes- und Sozialwissenschaften an der ETH, insbesondere die Vorstellung eines komplementären "Studium generale", zunehmend kritisch hinterfragt. Die Planungskommission der ETH beschäftigte sich intensiv mit dieser Frage und gelangte in ihrer "Akademischen Vision 2011 der ETH Zürich" (1997) zur Empfehlung einer Aufwertung und gleichzeitigen Neuorientierung der Geistes- und Sozialwissenschaften; diese sollten künftig stärker "auf die Bedürfnisse der Ingenieur- und Naturwissenschaften und auf die Verknüpfungsmöglichkeiten mit diesen ausgerichtet" werden. Auch gewisse finanzpolitische und politische Vorstösse auf Bundesebene bewirkten eine intensivere öffentliche Diskussion der Rolle der Geistes- und Sozialwissenschaften an der ETH Zürich, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Schaffung des Collegium Helveticum, dessen Konzept zwar im Rahmen des Departementes Humanwissenschaften entwickelt worden war, dessen Realisierung dann aber 1997 in einer vom D-HUWI institutionell unabhängigen Form erfolgte.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und angesichts einer grösseren Anzahl bevorstehender Rücktritte von Professorinnen und Professoren der Abteilung XII leitete die Schulleitung Ende der 90er Jahre sowohl eine breit angelegte ETH-interne Diskussion über die Rolle der Geistes- und Sozialwissenschaften als auch eine externe Evaluation der beiden Departemente "Humanwissenschaften" und "Recht und Ökonomie" durch eine internationale Expertengruppe ein.
Die Ergebnisse dieser Diskussionen flossen schliesslich in den von der Schulleitung verabschiedeten "Aktionsplan Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften an der ETH Zürich" vom März 1999 ein. Darin wurde gegenüber der traditionellen Komplementarität der Geistes- und Sozialwissenschaften neu – bei aller Betonung der "fachlichen Eigenständigkeit" – eine verstärkt transdisziplinäre Ausrichtung der humanwissenschaftlichen Disziplinen und damit deren Anschlussfähigkeit an technik- und naturwissenschaftliche Problemstellungen gefordert. Gleichzeitig sollte die bislang "nur begrenzte curriculare Verankerung der GESS in den Diplomstudiengängen der ETH Zürich" verstärkt werden, ein Postulat, das mit der Schaffung des Pflichtwahlfachs GESS für alle Studierende verwirklicht werden sollte.
Die Realisierung des "Aktionsplans GESS" schritt in den folgenden Jahren rasch voran, gefördert durch die massive personelle Erneuerung der Professorenschaft infolge der hohen Anzahl altersbedingter Rücktritte von Professorinnen und Professoren in den Jahren unmittelbar vor und nach der Verabschiedung des "Aktionsplans". Ein herber Verlust für das Departement war die im Herbst 2002 von der Schulleitung im Rahmen allgemeiner Sparmassnahmen verfügte "Terminierung" von drei der vier bestehenden Professuren für Sprache und Literatur.
Das Departement GESS – bzw. seine Vorgängerinstitution Abt. XII – ist auch Träger wissenschaftlicher Einrichtungen, die im Dienste einer breiteren Öffentlichkeit zusammen mit Partnerinstitutionen, wie etwa der Schweizerischen Nationalbank oder Schweizerischen Bundesbehörden, bzw. mit Unterstützung privater Stiftungen betrieben werden. So wurde bereits 1938 die KOF, die Konjunkturforschungsstelle an der ETH Zürich, gegründet und über die Jahre ausgebaut. Im Bereich der Sicherheitspolitik besteht seit den 1980er Jahren eine Forschungsstelle, die heute eine beträchtliche Anzahl von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschäftigt und auch Beratungsfunktionen für Schweizerische Behörden wahrnimmt. Seit 1974 leistet das Archiv für Zeitgeschichte des Instituts für Geschichte mit der Erschliessung einschlägiger historischer Quellenbestände einen wichtigen Beitrag zur schweizerische Zeitgeschichtsforschung.


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