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Mathematik zwischen Leitdisziplin und Hilfswissenschaft

Über die mathematische Formalisierung ihrer Aufgaben erhofften sich die Ingenieurfächer stets auch, als Wissenschaften anerkannt zu werden. In den 1890er-Jahren zeichneten sich neue Möglichkeiten ab, die Technikwissenschaften akademisch zu adeln.

War Mathematik eine blosse Hilfswissenschaft für die Maschinen- und Bauingenieure, wie die so genannte antimathematische Bewegung unter den technikwissenschaftlichen Hochschullehrern des deutschen Kaiserreichs meinte? Deren Protagonist Alois Riedler forderte 1896, den Stundenplan der Polytechniker von den Auswüchsen der höheren Analysis zu befreien und auf das problemorientierte und "anschauliche logische Denken ohne Formeln" zu konzentrieren.
Oder hielt man es mit Mathematikern wie Felix Klein, dem ersten Universitätsprofessor im Verein Deutscher Ingenieure VDI, der davon ausging, dass technische Problemstellungen umgekehrt die universitäre angewandte Mathematik und Physik stimulieren können? Klein sprach sich daher gegen eine Abkoppelung der Ingenieurswissenschaften vom mathematischen state of the art aus und erntete damit auch die Sympathie Aurel Stodolas, Professor für Maschinenbau an der ETH. Vor dem Hintergrund des eskalierenden Streits war dessen Auftritt beim ersten internationalen Mathematikerkongress 1897 in Zürich ähnlich gewagt wie Kleins VDI-Mitgliedschaft.

Stodola referierte über "die Beziehungen der Technik zur Mathematik". Einerseits werde der Techniker im "wilden Konkurrenzkampf, dem auch seine eigene Leistung unterworfen ist, ... mit unwiderstehlicher Gewalt der Empirie in die Arme geworfen". Andererseits gebe es eine "wissenschaftlich arbeitende, technische Minorität", die beizeiten darüber aufzuklären sei, "dass mit der Bewältigung der Elemente der höheren Analysis erst die Vorhalle eines herrlichen Gebäudes betreten ist." Sie dürfe nicht von den polytechnischen Schulen abgedrängt werden, "als sei der von vornherein für die Praxis verloren, der wissenschaftliche Ideale pflege". Die Konkurrenz mit den Universitäten spielte Stodola herunter. Dabei verfügte gerade das Polytechnikum im Unterschied zu manch anderer technischen Hochschule bereits seit 1866 über eine eigene Fachschule zur Ausbildung von Mathematik- und Physiklehrern und bot damit dieselben Lehrfächer an wie die Zürcher Universität.

Die Ausbildungsanforderungen für Ingenieure waren um 1900 weniger klar als in den 1860er-Jahren, als für Direktor Pompejus Alexander Bolley der industrielle Erfolgsausweis seiner Schüler noch deutlich vor dem wissenschaftlichen rangiert hatte. In seinem Bericht über das Eidgenössische Polytechnikum anlässlich der Weltausstellung 1867 in Paris hatte der Direktor versichert, dass das technisch ausgefeilteste Produkt nur selten angestrebt werde und sich der gute Ruf der Polytechniker vor allem an ihrer praktischen Mitarbeit in Betrieben zu beweisen habe. Dort stehe das rechte Preis-Leistungs-Verhältnis im Mittelpunkt der Überlegungen.

"Rarement d'ailleurs le produit le plus parfait est le plus recherché. Celui qu'on demande le plus est celui dont le prix et la valeur sont dans le rapport le plus juste avec le temps et les forces nécessaires à sa production. Le secret de toute grande production consiste dans un exact emploi du temps et des forces disponibles. Celui qui occupe une position subordonnée doit savoir obéir et se faire à être commandé. Celui qui dirige doit s'entendre à commander."

(Bolley 1867, 20)

Der alte Streit um das rechte Mass an Theorie bzw. Praxisorientierung konnte um 1900 aber überraschend schnell beigelegt werden. Denn neben der Mathematik und den "synthetischen" und "graphischen" Methoden war ein drittes Element in der Ingenieurausbildung aufgetaucht, das die gegenläufigen Forderungen auf neuartige Weise integrierte. Der "Bericht des schweizerischen Schulrats betreffend das neue Maschinenlaboratorium für die mechanisch-technische Abteilung" vom 2. November 1896 an den Bundesrat sah eine "tüchtige mathematische Vorbildung" sowie die "mögliche Entwicklung der zeichnerisch-konstruktiven Fertigkeit" als unentbehrlich an. Es müssten diesen Unterrichtsmitteln aber "ein Drittes: das Maschinenlaboratorium" hinzugefügt werden.

Für sein mathematisches Publikum von 1897 fand Stodola unter Anspielung auf jene überall neu gebauten oder geplanten Maschinenlaboratorien eine elegante Kompromissformel. Das "Körnlein Wahrheit", das der Ausspruch "Probieren geht vor Studieren" enthalte, liege nämlich im Hinweis auf "die Notwendigkeit des Versuchs". "Die grosse Bewegung für Ingenieurlaboratorien" basiere auf diesem leitenden Prinzip. Wenn experimentelle Forschung und Messkunde an Bedeutung gewännen, dann werde "der für sie zu schaffende Platz im Unterrichtsprogramm notgedrungen nur auf Kosten aller übrigen, also auch der mathematischen Disciplinen zu gewinnen sein".

Andrea Westermann

   
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