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Politkarrieren

 
   
           
 

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Das Referendum gegen das ETH-Gesetz

Gegen Ende des hochschulpolitischen Epochenjahrs 1968 wehte auch an den Schweizer Universitäten ein frischer Wind. Für kurze Zeit bestimmten Studierende der ETH Zürich die innenpolitische Agenda.

Im März 1968 beschloss die Eidgenossenschaft, die Ecole Polytechnique Universitaire de Lausanne zu übernehmen und der ETH Zürich gleichzustellen. Hierzu musste ein neues ETH-Gesetz ausgearbeitet werden, das am 4. Oktober ohne Gegenstimme die Räte passierte. Doch nur wenige Tage darauf kündete Silvio Vaccani, der Präsident des Verbandes der Studierenden der ETH VSETH, zur Überraschung vieler an, seine Organisation werde vielleicht das Referendum gegen die Vorlage ergreifen. Noch nie hatte ein studentischer Verband mit diesem direktdemokratischen Mittel politisch interveniert.

Stein des Anstosses war die Frage der Partizipation. Artikel 10 des neuen Gesetzes räumte den Studierenden zwar das Recht ein, in Hochschulfragen angehört zu werden, aber ein Mitbestimmungsrecht erhielten sie nicht. Das widersprach den Modellen, die in den europäischen Nachbarländern und in den USA diskutiert wurden. Nachdem das bewegte Jahr 1968 an Deutschschweizer Universitäten ruhig verlaufen war, regte sich nun auch hier Protest. Als in einer Urabstimmung am 2. und 3. Dezember eine Mehrheit der ETH-Studierenden gegen das neue Gesetz stimmte, begann man in Bern die Referendumsdrohung ernst zu nehmen. Nun versuchte der Genfer Nationalrat und FDP-Präsident Henri Schmitt die Debatte im Parlament noch einmal zu lancieren.

Traditionell wurde das Instrument des Referendums in erster Linie als Druckmittel eingesetzt, um die Gesetzgebung zu beeinflussen. Nur in seltenen Fällen war es tatsächlich zur Sammlung der notwendigen 30'000 Unterschriften gekommen. In diesem Sinne forderte Schmitt den Bundesrat in einer Motion auf, umgehend die Revision des noch nicht in Kraft getretenen Gesetzes anzugehen, um so den direktdemokratischen "Betriebsunfall" zu verhindern. Es sei eine "koordinierte und gesamtschweizerische Diskussion" über Hochschulfragen anzustreben, in die auch die Dozenten, Assistierenden und Studierenden der technischen Hochschulen einzubinden seien.

Freilich hatte sich die studentische Bewegung zu diesem Zeitpunkt bereits verselbstständigt. Nicht nur politische Schwergewichte wie Schmitt oder Innenminister Hans Peter Tschudi, sondern auch die Vorstandsmitglieder des VSETH verloren die Kontrolle. Im Gegensatz zu ihrer Basis hatten sich die Funktionäre nämlich dagegen ausgesprochen, das Referendum zu ergreifen. Man fürchtete, politischen Goodwill zu verlieren und traute sich die Aktion logistisch nicht recht zu.

In einer Art "Grassroots"-Bewegung bildete sich ein Referendumskomitee, das die Unterschriften auf unkonventionelle Weise bald beschafft hatte. Zwei Studenten sammelten beispielsweise am Zürcher Hauptbahnhof als "sandwich-men" mit Anhängeplakaten in einer Stunde 300 Unterschriften. Ein anderer Student sammelte in der Eisenbahn von Zürich nach Neuenburg und zurück 100 Signaturen, und zwei weitere Studenten brachten in einer Kinopause 45 Unterschriften zusammen. Selbst die formelle Übergabe der Unterschriften an die Bundeskanzlei wurde erstmals in der Schweizer Geschichte als Happening inszeniert: Mit Fahrrädern wurden die nach Kantonen sortierten Karten vom Berner Bahnhof zum Bundeshaus transportiert.

"Im Gegensatz zum landesüblichen Brauch, ein Referendum in aller Stille, unter Ausschluss der Öffentlichkeit einzureichen, wollten wir die 48256 beglaubigten Unterschriftskarten in der Form eines folkloristisch-politischen 'Umzuges' in der Bundeskanzlei 'zu getreuen Handen übergeben'", schrieb das Komitee.

Nachdem das Volksbegehren staatsrechtlich korrekt deponiert war, begann die Phase des Abstimmungskampfes. Das Referendumskomitee und der VSETH-Vorstand rückten wieder näher zusammen. Man nahm die Dienste der Werbeagentur Farner in Anspruch und konnte die Kabarettisten Alfred Rasser, Ruedi Walther und Margrit Rainer für die Produktion einer Werbe-Schallplatte ("Es nei as Bei") gewinnen. Bis zum Abstimmungstag hatten sich alle Parteien gegen das ETH-Gesetz ausgesprochen, und es war für niemanden eine Überraschung, dass eine Mehrheit des Stimmvolkes am 1. Juni 1969 ein Nein in die Urne legte.

Der Stimmungsumschwung in der politischen Öffentlichkeit der Schweiz zwischen Oktober 1968 und Juni 1969 ist nur teilweise auf die geschickte Kampagne der Studierenden zurückzuführen. Im Verlauf des Abstimmungskampfes manifestierte sich der universitäre Reformbedarf so deutlich, dass selbst für den Fall der Annahme des neuen Gesetzes dessen umgehende Revision in Aussicht gestellt wurde. Damit verlor der Urnengang jegliche Brisanz und zeichnete sich durch eine historisch tiefe Stimmbeteiligung aus.

Der Sieg der Studierenden markierte das Ende der euphorischen Zeit. Ganz im Sinne der Motion Schmitt stellte Innenminister Tschudi nun eine "Experimentierphase" in Aussicht, während der eine Grundsatzdiskussion über die Organisation der Hochschulen geführt werden sollte. Die Studierenden beteiligten sich anfänglich noch recht eifrig an der Reformdebatte, doch ihr Elan erlahmte bald im institutionellen Geflecht der Kommissionen, Gremien und Vernehmlassungsprozeduren.

Daniel Speich

   
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