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Politkarrieren

 
   
           
 

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Männlichkeitsschulen

Seit der Jahrhundertwende mehrten sich im Schweizerischen Offizierskorps die Akademiker, insbesondere Juristen und Polytechniker. Die männerbündisch organisierten Studentenverbindungen und Studentenvereine dienten dabei als Sozialisationsagenturen.

"Einen Major oder Oberstleutnant anzusprechen als Person am Feierabend konnte einem Kanonier nicht einmal einfallen; nur die Kellnerin oder der Kellner kamen überhaupt so nahe heran. Die Offiziere waren eine Kaste. Wie man in dieser Kaste wirklich dachte, konnte die Mannschaft nie erfahren."

Max Frisch, Dienstbüchlein (1974)

Mit der Zentralisierung der vor 1874 kantonal organisierten Armeen und der damit verbundenen Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht begann sich das Schweizer Militär als staatstragende Sozialisationsinstanz zu etablieren. Die Mobilisierung aller wehrfähigen Männer machte die Armee zu einer geschlechterprägenden Erziehungsanstalt, zu einer Bastion und Brutstätte gesellschaftlich sanktionierter 'Männlichkeit'. "Das Ziel der soldatischen Erziehung ist Entwicklung männlichen Wesens", hiess es etwa in den Ausbildungszielen des Schweizerischen Militärdepartements, herausgegeben am 27. Februar 1908. Insbesondere die "Neue Richtung" des Militärdiskurses, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert unter der Federführung von Ulrich Wille durchzusetzen begann, verstand die Armee vorrangig als Charakterschule. Erst körperliche Abhärtung und exzessive, auf Charakterstärke abzielende "Erziehung" machten aus dem Zivilisten einen "kriegsgenügenden" Mann. Dieses neue Konzept der Armee als personalisierter und emotionalisierter Männlichkeitsschule beruhte auf einer klar geregelten Frontstellung zwischen Offiziersautorität und Soldatendisziplin, zwischen homogenem Führerkorps und reflexartig gehorchenden Bürgersoldaten.

Auch wenn, wie etwa das Militärorganisationsgesetz von 1907 zeigt, dem preussisch inspirierten Militarismus der "Neuen Richtung" durchaus Einhalt geboten wurde, so machte sich im Schweizerischen Offizierskorps seit der Jahrhundertwende doch ein markanter Mentalitätswandel bemerkbar. Insbesondere im Dienstverhältnis zwischen Offizieren und Milizen herrschte ein neuartiger Führungsstil, der auf elitäre und autoritäre Befehlsgewalt setzte. Nicht selten war in diesem Zusammenhang von "Soldatenmisshandlungen" die Rede. Diesem Paradigmenwechsel in der Führungs- und Verhaltenskultur entsprach eine Veränderung der korpsinternen Sozialstruktur. Konnten sich im 19. Jahrhundert hauptsächlich selbstständige Unternehmer oder auch Landwirte eine Offiziersausrüstung leisten, so mehrten sich seit der Jahrhundertwende akademisch, technisch und kaufmännisch gebildete Jünglinge in den Offiziersrängen. Insbesondere in den Führungsorganen der armes savantes, den prestigeträchtigen Waffengattungen Artillerie und Genie, waren die Polytechniker bald unter sich.
Exerzitium bis zum Morgengrauen: Einladungskarte für den Weihnachtskommers der Polytechniker, um 1910.
Exerzitium bis zum Morgengrauen: Einladungskarte für den Weihnachtskommers der Polytechniker, um 1910.

Die "Neue Richtung" bevorzugte Offiziersaspiranten mit höherer Schulbildung. Nicht weil wissenschaftliche Zugangsweisen geschätzt wurden, im Gegenteil: Es war hauptsächlich der elitäre und virile Habitus der korpsstudentisch geschulten Akademiker, der den Militaristen als eine ideale Grundlage für Autoritätsausübung galt. "Niemals darf man die Eignung zum Offizier nach den Leistungen des Rekruten und nach den Leistungen des Unteroffiziers ausschlaggebend beurteilen. (...) So bleibt als Einziges, das allgemein sicher festgestellt werden kann und deswegen entscheidend sein muss, ob einer zur Offiziersausbildung zugelassen wird; die genügende Bildung des bildungsfähigen Geistes und die Frage, ob der junge Mann aus einem Milieu hervorgegangen ist, das zu der Annahme berechtigt, er habe die ehrenhafte Gesinnung, die für den Offizier notwendig ist", erläuterte Ulrich Wille 1910 in der von ihm gegründeten Allgemeinen schweizerischen Militärzeitung seine "Grundsätze für die Vorschläge zur Offiziersausbildung".

Im so genannten Bierstaat der Studentenverbindungen fand das Offizierskorps der Jahrhundertwende eine dienliche Sozialisationsagentur. Seit den 1880er-Jahren hatten sich nicht nur die meisten der ursprünglich parteipolitisch gefärbten schweizerischen Studentenverbindungen, sondern auch viele studentische Vereine sowie akademische Sänger- und Turnerschaften nach deutschem Vorbild in Couleur tragende Burschenschaften verwandelt. Der "Comment", ein Regelwerk, das in Form eines Straf- oder Zivilgesetzbuches das Brauchtum dieser Männerbünde festschrieb, trat in den Vordergrund und mit ihm eine Vielzahl von Kneipen, Kommersen und patriotische Festen, an welchen insbesondere der Trinkzwang der hierarchisch strukturierten Korporationen gnadenlos durchexerziert wurde. Im Zentrum des Comments stand der Erziehungsgedanke: In einer mehrjährigen, von Entgrenzungs- und Verbindungsritualen geprägten Initiationszeit wurden die Neumitglieder, die so genannten "Füchse", unter der Willkür der älteren Verbindungsmitgliedern zu "Burschen", zu rechtsfähigen Vollmitgliedern, geformt. Als Preis der Zugehörigkeit zu einer Studentenverbindung, die Halt, Orientierung sowie Gewinn bringendes Sozialkapital versprach, mussten die jungen Männer sich in ritueller Selbstüberwindung und Selbstaufgabe üben. Wie im Militär ging es auch in den männerbündischen Studentenorganisationen der Jahrhundertwende nicht um den intellektuellen Austausch von Wissen. Explizites Erziehungsziel war die physische und psychische Konditionierung und die damit einhergehende Formung von elitärer und autoritärer 'Männlichkeit'.

Monika Burri

   
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