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Die ETH als aerodynamische Denkfabrik

Die im frühen 20. Jahrhundert dominante Vision eines nationalen Flugzeugtyps liess sich in der Schweiz nicht bis zur Marktreife bringen. Zwar betätigte sich die ETH als aerodynamische Denkfabrik. Die Eigenentwicklung von Militärflugzeugen scheiterte jedoch an den organisatorischen Herausforderungen eines Grossforschungsprojekts.

Anlässlich des 60. Geburtstags von Jakob Ackeret, langjähriger Professor für Aerodynamik an der ETH Zürich, äusserte sich sein Kollege Eduard Amstutz zu "einigen Grundlagen der Eigenentwicklung von Flugzeugen in der Schweiz". "Die schweizerische Flugzeugindustrie ist nie zu dem geworden, was man sich als Student darunter etwa vorstellen mochte", begann Amstutz seinen Vortrag, der in der Zeitschrift Flugwehr und -technik vom 17. März 1958 abgedruckt wurde.

"Von den drei Stufen der Beschaffungsmöglichkeit – Kauf der Flugzeuge im Ausland, Flugzeugbau im Lande nach ausländischer Lizenz und Eigenentwicklung mit anschliessendem Selbstbau – kann eben für den tüchtigen Ingenieur letzten Endes immer nur die Eigenentwicklung die volle Befriedigung bringen. Sie allein schliesst schöpferisches Gestalten mit ein, dessen Ausstrahlung sich bis zum letzten Gehilfen hinab begeisternd und mitreissend auswirkt. Und gerade diese Eigenentwicklung ist es, die bei uns immer angefochten, mehrmals vorübergehend aufgegeben, aber auch immer wieder aufgenommen worden ist. Noch nie aber konnte man zur Überzeugung kommen, die jeweils gefassten Entschlüsse über die Eigenentwicklung würden auch von Bestand sein; sie waren nämlich nie mehr als ein nur recht zaghafter Entscheid, der in sich schon wieder den Keim zum Zweifel und schliesslich zu seiner Wiedererwägung barg."

(Flugwehr und -technik, 17.3.1958)


Als zentrale Grundbedingung einer befriedigenden Flugzeugforschung nannte Amstutz die Notwendigkeit einer alle Kräfte bindenden Vision, nämlich ein von den wissenschaftlichen Studien bis hin zum marktreifen Bau selbst kreierter Flugzeugtyp. Anders als beispielsweise der längst auf Komponentenentwicklung spezialisierte Schiffs- und Maschinenbau träumte die maschinelle Luftfahrt Mitte des 20. Jahrhunderts offenbar noch immer von einem mit vereinten Kräften ermöglichten Take-off nationaler Flugmaschinen. Für die Realisation dieses Grossforschungsprojekts, das in der Schweiz nur im Rahmen militärischer Flugzeugproduktion rentabel sein konnte, formulierte Amstutz insbesondere auch organisatorische Anforderungen. Diese seien seit 1915, als in den eidgenössischen Konstruktionswerkstätten in Thun und parallel dazu in Dübendorf der Bau von Militärflugzeugen aufgenommen wurde, kaum je in vollem Umfang erfüllt worden. Es sei das "Wirrwarr der Auffassungen über die für unsere Landesverteidigung zweckmässigen Flugzeugtypen", das "den Erfolg einer Eigenentwicklung von Militärflugzeugen in der Schweiz" am meisten gefährdet habe, meinte der Luftfahrtpionier, der 1949 sein Aufgabengebiet gewechselt hatte und in die Direktion der EMPA übergesiedelt war. Damit spielte er auf die erschwerte Interessenkoordination zwischen Wissenschaft, Militär und Politik an, welche die schweizerische Flugzeugentwicklung über Jahre blockiert und verzögert habe.

Hochfliegende Visionen: Jakob Ackeret auf einem Flugzeug der Akademischen Gesellschaft für Flugwesen AGIS, Typ Hansa-Brandenburg Phönix A. Aufnahme um 1920.
Hochfliegende Visionen: Jakob Ackeret auf einem Flugzeug der Akademischen Gesellschaft für Flugwesen AGIS, Typ Hansa-Brandenburg Phönix A. Aufnahme um 1920.

Schon bei der Berufung des Maschineningenieurs Eduard Amstutz auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Flugzeugstatik und Flugzeugbau 1938 hatte der Schulrat auf "gewisse unerfreuliche Verhältnisse in der kriegstechnischen Abteilung des E.M.D." hingewiesen: "Die neue Lehrkraft muss insbesondere über eine geistige Beweglichkeit und Initiative verfügen, sodass es ihr möglich wird, auf dem Gebiete des schweizerischen Flugwesens fördernd zu wirken, gegebenenfalls auch gegen gewisse Widerstände, wie sie besonders bei der Militäraviatik vorliegen." Kritisiert wurde insbesondere, dass die kriegstechnische Abteilung KTA unter der Leitung von Oberst Fierz die einheimische Flugzeugentwicklung nicht fördere und sich bei der Beschaffung von Materialien, Konzepten und Fachkräften ganz auf das fortschrittliche Ausland abstütze. "Umsomehr ist es die Pflicht der E.T.H., die Schweizerindustrie auf dem Gebiete des Flugzeugbaus zu fördern. Kann Ing. Amstutz gegebenenfalls auch gegen Oberst Fierz auftreten?" heisst es im Schulratsprotokoll von 1937 (Schulratsprotokolle, SR2:1937, Sitzung vom 8.5.1937, 92-98). In Bezug auf das nationale Verteidigungsdispositiv erachtete es die ETH als ihre Aufgabe "tüchtige Flugingenieure" auszubilden und "jungen wissenschaftlich geschulten Köpfen mehr Vertrauen zu schenken und ihnen die nötige Zeit zu vertiefter Ausbildung und zu eigenen Leistungen zu geben".

Tatsächlich hatte die ETH Ende der 1930er-Jahre einigen Grund, in der Flugzeugentwicklung auf ihr kreatives Potenzial zu setzen. Der Jahreskurs für Flugingenieure, im Wintersemester 1928/29 erstmals durchgeführt, hatte eine so grosse Nachfrage erzeugt, dass der Schulrat trotz finanzieller Engpässe beschloss, eine Professur für Aerodynamik einzurichten. Mit dem 1931 berufenen Ingenieur Jakob Ackeret erhielt das damals neue Forschungsgebiet der Strömungsphysik eine wegweisende Kapazität. Ackeret, der sich am Zentrum für moderne Aerodynamik in Göttingen und als Leiter des Labors für Hydraulik und Strömungsmaschinen bei der Escher Wyss AG verdient gemacht hatte, formulierte bereits in seiner Habilitationsschrift wesentliche Impulse für die künftige Luftfahrt. Die 1934 zum Institut ausgebaute Professur für Aerodynamik wurde von Anfang an mit modernen Messeinrichtungen sowie mit neuartigen und leistungsfähigen Windkanälen ausgerüstet. In Zusammenarbeit mit der lokalen Maschinenindustrie entwickelte das Institut 1933/34 den ersten in geschlossenem Kreislauf arbeitenden Überschallwindkanal der Welt. Die Anlage erlaubte es beispielsweise, erstmals Strömungsphänomene um Tragflügelprofile bei schallnahen Geschwindigkeiten genauer zu untersuchen.

Der Flugzeugstatiker Eduard Amstutz, der Aerodynamiker Jakob Ackeret und der Maschinenbauer Gustav Eichelberg, alle drei Schüler und ehemalige Assistenten des legendären ETH-Maschinenbauprofessors Aurel Stodola, ergänzten sich in ihren innovativen Stossrichtungen und bildeten Mitte des 20. Jahrhunderts das so genannte "Dreigestirn" der Luftfahrttechnik an der ETH (Guldimann 1998, 40). Sie verfügten über ein exklusives Wissen und wurden immer wieder als Experten in Kommissionen berufen. 1941 übernahm Amstutz für das Eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement das Pflichtenheft eines Delegierten für zivile Luftfahrt. Ackeret wurde 1943 in die Eidgenössische Kommission für militärische Flugzeugbeschaffung KMF berufen, die er ab 1950 präsidierte. Weniger glücklich verlief hingegen das Projekt einer eigenen Flugzeugkonstruktion. In den 1940er-Jahren wurde das Studienbüro des Schweizerischen Flugtechnischen Vereins SFV, das Amstutz seinen ETH-Institut angegliedert hatte, vom eidgenössischen Luftamt beauftragt, ein Flugzeug zu entwickeln, das sich für den Verkehr in den Berggegenden eignen würde. Entworfen und berechnet wurde der "Pilatus SB-2 Pelican". Die Pilatus-Flugzeugwerke in Stans führten die Konstruktion des einmotorigen, speziell für den Langsamflug geeigneten Schulterdeckers aus. Obwohl Fachleute "alle Forderungen des Pflichtenheftes erfüllt" sahen, konnte man sich nicht für einen Serienbau dieses Typs entscheiden. Immerhin dienten die Studien dem erfolgreicheren "Pilatus Porter".
Innovative Forschungsanlage: Windkanal des ETH-Instituts für Aerodynamik.
Innovative Forschungsanlage: Windkanal des ETH-Instituts für Aerodynamik.


Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, der die kriegsentscheidende Bedeutung der Luftwaffe vorgeführt hatte, erfuhr die Schweizer Luftfahrtindustrie einen sichtbaren Modernisierungsschub. Im Eidgenössischen Flugzeugwerk F+K in Emmen, wo schon die berühmten "Vampires", die erste Flotte eidgenössischer Düsenjäger, in Lizenz zusammenbaut wurden, hatte der Bund die Entwicklung eines auf eidgenössische Verhältnisse zugeschnittenen Mehrzweckflugzeugs in Auftrag gegeben. In der Dornier-Flug AG, der späteren Flug- und Fahrzeugwerke AG Altenrhein, baute man auf private Initiative hin das Erdkampfflugzeug P-16. Für beide Projekte wirkte die ETH als aerodynamische Denkfabrik, in beiden Produktionsstätten waren Schüler Ackerets die massgeblichen Akteure. In Emmen waren Windkanal- und Forschungsanlagen nach ETH-Vorbild errichtet worden und insbesondere für Altenrhein lieferten Institute der ETH wichtige Studien.

Das weitere Schicksal dieser beiden Flugzeugentwicklungen ist wesentlicher Bestandteil der oft als "tragisch" bezeichneten Geschichte des schweizerischen Militärflugzeugbaus. Angelegt war diese Tragik bereits darin, dass die beiden Projekte sich zunehmend konkurrenzierten. Die Arbeiten am Emmener Kampfjet N-20, dessen Triebwerke sich beim ersten Testflug als zu schwach erwiesen, wurden 1954 eingestellt: Der Bundesrat war nicht bereit, weitere 3 Millionen Franken in die Produktionskosten zu investieren. P-16 brachte es soweit, dass das Parlament 1957 einen Kredit für 100 Flugzeuge bewilligte. Als kurz vor der Vertragsunterzeichnung ein zweiter Prototyp in den Bodensee stürzte, wurde der Serienbau auf Druck des Militärs storniert. Ackeret demissionierte daraufhin aus der Eidgenössischen Kommission für militärische Flugzeugbeschaffung. Immerhin fanden die Entwicklungsarbeiten um den P-16 in einem Nachfolgeprojekt ihren Niederschlag. Es war die Equipe von Altenrhein, welche die Entwicklung des ersten düsengetriebenen Geschäftsflugzeugs mit dem Namen Swiss-American-Aviation Corporation SAAC-23 bis zu Beginn der Prototypherstellung betreute. Fertigung und Serienbau wurden dann allerdings in die kostengünstigeren USA transferiert. Mit der Einstellung der Entwicklung von Strahlflugzeugen in der Schweiz ging eine Abwanderung von Fachleuten einher, von dem sich die Industrie nicht mehr erholte. Zwar sind auch heute schweizerische Forschungsinstitute an der Produktion von Luft- und Raumfahrttechnologien beteiligt. Die Vision eines flugtechnischen Unabhängigkeitsbeweises scheiterte jedoch an den organisatorischen Anforderungen von Grossforschungsprojekten in der Nachkriegszeit, die grosses Risikokapital und eine intensive Interessenkoordination verlangten.

Monika Burri

   
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