Das erste Maschinenlaboratorium
In den Maschinenlaboratorien fanden die Maschinenbauingenieure Anschluss
an die Standards von Wissenschaftlichkeit, wie sie die Naturwissenschaften vorgaben.
Schon lange bevor in den 1920er-Jahren Frederick Taylors Texte zum "scientific management" faszinierte Leser fanden, schaute in Europa ein technikinteressiertes oder machtpolitisch bewusstes Publikum nach Amerika. Insbesondere die Weltausstellung in Chicago 1893 hatte die Maschinenbauer in helle Aufregung versetzt. Die US-amerikanische Werkzeugmaschinenindustrie war offensichtlich dabei, die internationale Führungsrolle innerhalb der Branche zu übernehmen. Der Schlüssel zum Erfolg konnte wohl mit einiger Sicherheit im US-amerikanischen Hochschulwesen vermutet werden. Deutsche und schweizerische Berichterstatter widmeten daher den Selbstdarstellungen der technischen Hochschulen in den USA ihre besondere Aufmerksamkeit, meist schlossen sie dem Ausstellungsbesuch sogar eine Rundreise zu den Universitätsstandorten an. Ihre Berichte waren nicht zuletzt wissenschaftspolitische Empfehlungen.
Selbst der Chemieprofessor am Polytechnikum Georg Lunge, eigentlich als Delegierter für das chemisch-technische Ausbildungswesen unterwegs, konnte sich ein Lob der Organisation im Maschinenbau und den Ingenieurfächern nicht verkneifen. In den USA werde "unvergleichlich mehr Gewicht als bei uns auf die wirklich praktische Ausbildung der Studierenden in Werkstätten, die mit richtigen Arbeitsmaschinen versehen sind, im Felde etc." gelegt. Für die Metallurgie sei ihm in Europa "nichts Ähnliches bekannt wie die Einrichtungen des Massachusetts Institute of Technology, mit denen die Studierenden die Hüttenprozesse schon im Laboratorium in solcher Weise praktisch erlernen, dass sie davon unmittelbare Anwendung im Grossen machen können" (Lunge 1894, 20). Die Fachschulen für
Maschinenbau seien leider erst mit Chicago aufgewacht, argumentierte 1897 auch der Schweizerische Schulrat gegenüber dem
Bundesrat, als er den längst überfälligen Bau eines Maschinenlaboratoriums anmahnte.
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Das neue Zeichensaalgebäude mit Maschinenhalle, 1904.
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Die Elektrotechnik war in dieser Hinsicht schneller und erfolgreicher. Die Verbindung von wissenschaftlicher Messkunde und den Konstruktionsmethoden des
allgemeinen Maschinenbaus hatte ihr einen erstaunlichen Aufschwung gebracht. Ihre Erfolge galten in den Diskussionen um Maschinenlaboratorien als nachahmenswert.
Im Maschinenbau selbst genügte
es nun offensichtlich nicht mehr, dass der Polytechniker eine industrielle Anlage projektieren und
betriebssicher herstellen konnte. Die sprunghaft steigenden Grössenordnungen im
Motorenbau machten die Einhaltung ihres garantierten Gütegrads zu einer echten Forschungsaufgabe. Die Gas-
und Petrolmotoren konkurrenzierten auf dem Gebiet der kalorischen Maschinen die Dampfmaschine: "Jeder Tag kann neue Erfindungen
bringen, die den ausübenden Techniker zur experimentalen Untersuchung, als der
letzten Instanz in technischen Dingen, zwingen" (Bericht des
Schweizerischen Schulrates, Bundesblatt 1897 I, 18). Die zukunftsorientierten Dynamiken der Wissensproduktion hatten zu diesem Zeitpunkt für die Ingenieure an Anschaulichkeit gewonnen. Ihre Zugkraft zwang zu Anpassungsleistungen. So konvergierten nach mehr als vierzig Jahren Disziplinenentwicklung an der technischen Hochschule Praxisorientierung und Forschung schliesslich auch in den Ingenieurwissenschaften: In einem Maschinenlaboratorium kam die "wirklich arbeitende
Maschine" zur Anschauung und konnte im Unterschied zur tatsächlichen
Fabrikpraxis unter beliebig veränderbaren Betriebsbedingungen studiert werden.
Maschinenbauprofessor Aurel Stodola, der die Ausstattung des Laboratoriums für die Zürcher Technische Hochschule plante, versprach sich davon ein Training der
studentischen "Raumvorstellung", das die Lerneffekte skizzenförmiger
Konstruktionsübungen weit übertraf.
Die Professoren wollten im Maschinenlaboratorium auch selbst experimentell arbeiten. Dabei gingen sie gemäss Alois Riedler, Professor für Maschinenbau in Berlin und seinerseits deutscher Chicago-Berichterstatter, problemorientiert oder phänomenologisch vor. Das Ingenieur-Experiment suche nicht wie der physikalische Versuch naturwissenschaftliche Abstraktion und verfolge nur eine einzige, zuvor isolierte Wirkung, sondern wolle von vornherein die Gesamtwirkung aller Ursachen in die Betrachtung miteinbeziehen (Riedler 1904, 132).
Das Maschinenlaboratorium. Kalorische Abteilung 1904: Im Hintergrund das Betriebsschaltbrett der zentralen Beleuchtungsanlage für das Polytechnikum.
Im Gegenzug zu den Forderungen nach einem Maschinenlaboratorium hatten die Maschinenbauingenieure ein attraktives Angebot für das Polytechnikum parat. "In zweckmässiger Weise" hätten z.B. Darmstadt und München Gebäudetechnik und Experimentalaufbauten
kombiniert, indem sie die zentrale Beleuchtungs- und Beheizungsstation als Übungslabor
konzipierten. Auch in Zürich könne das Maschinenlaboratorium den gesamten Komplex von Schulgebäuden elektrisch beleuchten "und zwar billiger,
als dies nach den vom Elektricitätswerk Zürich gemachten Anerbieten durch
dieses oder sonst von anderer Seite her geschehen könnte". Mit dem
frei Haus gelieferten elektrischen Licht stellte die mechanisch-technische Abteilung dem Schweizerischen Schulrat in Aussicht, die Bundeshochschule auf den um 1900 angezeigten Stand von Urbanität und
Modernität zu bringen. Diese Gelegenheit wollte der Schulrat unbedingt ergreifen:
"Die bisherige Gasbeleuchtung war stets ungenügend, besonders für die
Zeichensäle, und fällt immer mehr ab gegenüber der ringsum in
öffentlichen und privaten Gebäuden aller Art sich verbreitenden
elektrischen Beleuchtung; wohl hat man durch Einführung von
Gasglühlicht die Gasbeleuchtung zu verbessern gesucht, aber dies bleibt
blosses Flickwerk".
(Bericht des Schulrats 1896, 21)
Der Technikhistoriker
David Gugerli hat gezeigt, dass in der Schweiz der 1880er- und frühen 1890er-Jahren elektrische Beleuchtung ein "äusserst exklusives Konsumgut" war, das –
ob privat oder öffentlich – vor allem für repräsentative und touristische
Zwecke eingesetzt wurde. Elektrisch beleuchtete Hotels waren der Inbegriff von
Eleganz und Komfort. Elektrisches Licht kam den bürgerlichen
Distinktionsbemühungen ebenso entgegen wie der Absicht öffentlicher Stellen, den Mangel an bundesstaatlicher und städtischer Einheitlichkeit mit Licht zu
überblenden und zu kompensieren (Gugerli 1996, 45–47).
An der ETH wirkten beide Motive für die landesweite Elektrifizierung. Am Erwerb bürgerlicher
Insignien waren die Polytechniker stets interessiert. Das Hauptgebäude wiederum strahlte die gesellschaftseinigende Fortschrittsidee, die eng mit dem Polytechnikum verbunden war, nun auch abends auf die Stadt hinunter.
In der Professionsmentalität der Maschinenbauingenieure hatte
das Maschinenlaboratorium bald einen festen Platz. Es wurde nicht zuletzt zum hochschulinternen Forum für Standesangelegenheiten. Im März 1902 veranstaltete der
Akademische Maschinen-Ingenieur-Verein AMIV dort beispielsweise eine Versammlung der Studierenden, während der beschlossen wurde, sich für die Einführung der Doktorwürde
des Ingenieurs einzusetzen.
Übrigens gab man nach zehn Jahren die Stromerzeugung für die ETH dann
doch an die städtischen Elektrizitätswerke ab. Der symbolische
Anschluss war längst sichergestellt; wissenschaftspraktisch jedoch lief
der Versorgungsauftrag dem immer stärker ausgebauten Experimental- und
Lehrbetrieb zu sehr entgegen (Feuchte 2000, 136).
Andrea Westermann