POST
Das
Projektorientierte Studium POST war in den 1970er-Jahren ein Versuch der ETH, Flexibilität im Studium einzuführen und dieses als ein Projekt des "Forschenden
Lernens in Gruppen" zu verstehen.
Das POST ist ein spätes Resultat vielfältiger Vorschläge, welche die Reformkommission seit ihrer Gründung 1970
gemacht hatte. Zahlreich waren die Anregungen, wie man vom Frontalunterricht
der klassischen Vorlesung und damit vom bisherigen didaktischen Fabrikbetrieb der
Hochschule loskommen könnte. Lernen in Gruppen war dafür ein beliebtes Schlagwort.
Gleichzeitig sollte ein Unterricht vermieden werden, der etwa das
Periodensystem konsequent und bis zur Erschöpfung aller
körperlich Anwesenden durchnahm. Manche versprachen sich bessere
Lernerfolge, wenn man von dem Ort ausging, wo Chemie tatsächlich passiert,
also von einem konkreten Problem, von einer realen Situation. Noch besser, so
die gewagte These, könnte der Unterricht gestaltet werden, wenn ihn die
Lernenden selbst in die Hand nehmen und selbst gestalten würden; wenn sie in
Projekten arbeiteten, wie mittlerweile auch die grossen Forscher.
"Projektorientiertes Studium" wurde die organisatorische Kombination dieser
Anforderungen an einen alternativen Unterricht genannt.
Je weniger man damit rechnen konnte, dass
alternative Studienformen irgendwann einmal umgesetzt werden würden, je stärker die Reformchancen abnahmen, desto mehr wurde
das POST zu einem eigentlichen pièce de resistance der Reformbemühung.
Vielleicht erinnerte man sich in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre auch einfach
gerne und mit Nostalgie an jene Projektarbeit, die 1972 von
Architekturstudierenden durchgeführt worden war und zu einem berühmt-berüchtigten
Bildband über kapitalistischen Wohnungsbau in "Göhnerswil" – dem von der Firma Göhner überbauten Dorf Volketswil – geführt hatte.
 Der Bauunternehmer...
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 ... seine Mieter...
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 ... seine Arbeiter.
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Ein POST-Vorbild? Die Göhnerswil-Studie eines Autorenkollektivs an der
Architekturabteilung der ETH Zürich (1972).
Das Projektorientierte Studium stellte mit
Sicherheit ein Reformziel dar, das alle Beteiligten und Betroffenen
grundsätzlich herausforderte. Denn hier ging es nicht einfach um die
Anpassungen der Normalstudienpläne, wie sie jede Abteilung von Zeit zu Zeit
durchführte, noch ging es um die apparative Aufrüstung der Unterrichtsmittel,
also bildlich gesprochen um den Krieg des Hellraumprojektors gegen die Wandtafel. Weder begnügte
sich das POST mit einer blossen Enthierarchisierung des Unterrichtsstils, noch
wollte man sich damit zufrieden geben, die Stühle und Tische der
Hörsäle aus ihren festen Verankerungen zu reissen und sie wieder zu
Mobiliar, also zu beweglichen Einrichtungsgegenständen zu machen.
Beim POST ging es um mehr: Es sollten
sowohl Inhalte und Studienformen als auch Forschung und Lehre völlig neu
konfiguriert werden.
Damit beinhaltete das POST gleichzeitig die
aktive Mitgestaltung des Studiums durch die Studenten, eine Reform
der Lehrziele, der Lehrinhalte und der Prüfungsanforderungen und zudem besass es als
alternativer Studiengang Implikationen für die Interdisziplinarität der Lehre,
für ihre Forschungsorientierung und ihre Didaktik schlechthin. Studierende
des POST konnten, nachdem sie die zweite Vordiplomprüfung bestanden hatten,
erstmals zwischen 1976 und 1979 in Projektgruppen einem selbst entwickelten
Spezialstundenplan folgen und nach dem Grundsatz des forschenden Lernens ein
naturwissenschaftliches Thema gemeinsam bearbeiten. Gegenüber dem starren
Normalstudienplan war das nachgerade ein revolutionärer Akt. Ungehörig war etwa
die unkonventionelle Vorstellung, sich statt des systematischen Erlernens der disziplinären
Grundlagen in der Gruppenarbeit den Stoff im Zusammenhang mit einer
konkreten Fragestellung anzueignen, Wissen somit ad hoc – nicht auf Vorrat,
sondern nach Bedarf – zu gruppieren.
Die Anforderungen wurden jedoch so hoch gesteckt,
dass nur gerade drei Gruppen mit je höchstens fünf Mitgliedern in diesem
Zeitraum tatsächlich ein POST durchführten. Manche scheiterten daran,
dass nicht alle Mitstudierenden das Vordiplom schafften, andere konnten sich
nicht auf ein Thema einigen, dritte brachten keinen Arbeitsplan zustande,
jedenfalls keinen, der sich nach Ansicht der Dozenten hätte bearbeiten lassen.
Die Schulleitung gab sich
schon bei der Einführung betont skeptisch und machte deutlich, dass sie nicht viel von der Sache hielt. Deshalb zitierte man zuerst die
Reformkommission mit den Worten "Die zur Zeit bestehenden Möglichkeiten für
alternative Studiengänge ausserhalb des Normaldiploms sind wenig bekannt und
werden kaum je genutzt." Dass dies nicht eine Frage des Angebots war, schien
dem Präsidenten klar: "Offenbar ist das Bedürfnis danach nicht sehr gross." Zudem betonte man, dass das Projekt vom Schulrat und nicht von der Schulleitung bewilligt worden war. Kein Wunder, dass es an einer Abteilung durchgeführt werden sollte, deren Profil immer mehr an Kontur verlor:
"Eine neue Möglichkeit für alternatives Studium schuf der Schulrat an der
Abteilung für Naturwissenschaften in Form des sogenannten Projektorientierten
Studiums, das nach dem zweiten Vordiplom ergriffen werden kann" (Jahresbericht
1976, 4).
Auch der studentische Kommentar, nach
langem offiziellen Schweigen der Studentenschaft von Barbara Haering am ETH-Tag
1977 formuliert, war kritisch. Das POST diene einerseits als "Reformalibi" und
"Reformbeweis". Andererseits lege man den Studenten Steine in den Weg, wo immer es
möglich sei: "Die Studenten werden vom Arbeiten abgehalten und kontrolliert" (Haering 1977).
Die Begeisterung hielt sich also in Grenzen. Den einen galt das POST als eine unnötige Konzession an studentische
Mitgestaltung und Mitsprache, welche die Allmacht des Ordinariats gefährdete, den anderen als verpasste Chance, endlich eine zeitgemässe
Studienform einzuführen. Der Wille zur Selbstbestimmung löste sowohl Ängste wie
auch Hoffnungen aus – die konkrete institutionelle Ausgestaltung des POST konnten weder die einen beseitigen noch die anderen erfüllen.
Während mit Hilfe des POST in den späten
1970er-Jahren in unterschiedlichen Kontexten immer wieder altbekannte
Konfliktlinien bestätigt worden sind, kann das POST
jenseits der ideologischen Grabenkämpfe
auch als Reflex eines tiefgreifenden Wandels der Hochschule gedeutet werden. Dieser Wandel schlug sich institutionell sichtbar erst in den 1980er-Jahren nieder, und zwar in der Einführung der Matrixstruktur, in der schleichenden
Entmachtung der Ordinariate und der steigenden Bedeutung des Selbstmanagements
der Hochschulangehörigen.
Der Begriff des forschenden Lernens hätte es eigentlich deutlich machen können: Die Technische Hochschule verwandelte sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in eine naturwissenschaftlich-technische Universität, deren wichtigste Aufgabe die Spitzenforschung war. Dementsprechend deutete sie sich nicht einmal mehr dann als Schule, wenn es um ihr altes 'Kerngeschäft', um die Ausbildung und die Gestaltung des Studiums ging. Die primären Kriterien, um die Qualität der Hochschule zu beurteilen, lagen nun fast ausschliesslich in der Forschung. Sie war die Messlatte jeder Selbstdarstellung.
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 Ein POST-Vorbild? Pflanzenbau-Studierende der ETH 1971.
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Diesem Trend entsprechend wurde die
hergebrachte Rede von der Einheit von Lehre und Forschung von den
POST-Advokaten dadurch erweitert, dass man dem projektorientierten Studium das
Etikett des "Forschenden Lernens" umhängte. Damit wurden aber auch jene Geister
geweckt, die sich schon immer der Überwachung der Wissenschaftlichkeit
verpflichtet hatten. In dieser Intervention musste weder das Problem der
Personalintensität des POST noch das Problem des möglichen Kontrollverlustes der
Dozenten noch speziell thematisiert werden. Man konnte ganz einfach auf die
mangelnde Wissenschaftlichkeit der Diplomarbeiten hinweisen und diese an die
Entstehungsbedingungen der Arbeiten knüpfen, um sich das POST vom Leib zu
halten. "Wir haben die Diplomarbeiten gelesen und uns vor allem die Frage
gestellt, ob die Anforderung der Wissenschaftlichkeit, die unseres Erachtens an
eine Diplomarbeit zu stellen ist, erfüllt wurde. Wir kommen zum Schluss, dass
die Wissenschaftlichkeit der Arbeiten unter dem POST-Regime gelitten hat",
liess sich der Präsident der ETH im Sommer 1980 an der Gesamtkonferenz der
Professoren vernehmen.
Ganz anderer Meinung war die vom
Abteilungsrat der Abteilung X für Naturwissenschaften eingesetzte
"POST-Auswertungskommission":
"Besonders die dem POST eigene Art des Forschenden Lernens in Gruppen ist dabei eine inzwischen vielerorts bewährte Lernkonzeption. ... Diese Lernvorteile rechtfertigen unserer und der Gutachter Meinung nach eindeutig, die Versuche mit projektorientiertem Studium fortzusetzen. Die positiven Beurteilungen, insbesondere auch aller direkt Beteiligten, fordern es geradezu!"
Projektorientiertes Lernen spielte in den Umweltnaturwissenschaften
spätestens seit den frühen 1990er-Jahren wieder eine grosse Rolle. Die dort
eingeführten "Fallstudien" haben das Erbe des POST angetreten, inklusive des Vorwurfs
der mangelnden wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit.
Unterstützt werden die Umweltwissenschaften
inzwischen von den im Herbst 2002 eingeführten Bewegungswissenschaften. Dieser Studiengang wird auf der Web-Site als "fächerübergreifend, ganzheitlich und
projektorientiert" bezeichnet. Im Fach Produktentwicklung der
Maschinenbauer werden seit einigen Jahren "alle Prozesse der Entwicklung eines
Produkts wie Ideenfindung, Marktanalyse, Konstruktion, Engineering, sowie
Herstellung und Montage von Prototypen" als projektorientiertes Lernen an
zukünftigen Produkten wie Rettungsschlitten, Kinderwagen und Rasenmähern
durchgespielt.
Die Gralshüter der wissenschaftlichen
Forschung erkennen in dieser gruppendynamischen Anwendungsorientiertheit
vielleicht zu Recht die Gefahr der Erosion dessen, was Forschung an der
Hochschule sein sollte. Sie verkennen dabei aber auch, dass die Dominanz des
Forschungsbegriffs in der Lehre vor nicht allzu langer Zeit erst aufgebaut
worden ist.
David Gugerli