Die Forschungskommission
Zur Hochschulautonomie gehört das Recht auf universitäre Selbstverwaltung. Die Forschungskommission ist ein typisches Selbstverwaltungsorgan der Wissenschaft. Sie wurde 1942 im Rahmen der Arbeitsbeschaffungskredite des Bundes zur Vorprüfung der ETH-Gesuche einberufen.
Nach jahrelang wie selbstverständlich steigenden Investitionen in Wissenschaft und Forschung, sah sich die ETH 1974 mit einem ernsthaften finanziellen Einschnitt konfrontiert. Der Personalstopp des Bundes, der im Rahmen der "Wiederherstellung des Gleichgewichts im Bundeshaushalt" verhängt wurde, bedeutete für die Hochschule, dass weder neue Professuren noch andere Stellen geschaffen werden konnten (Botschaft des Bundesrates, Bundesblatt 1974 I, 1327). Die eidgenössische Finanzverwaltung signalisierte zudem, dass der ETH-Haushalt insgesamt kaum mit Krediterhöhungen werde rechnen können. Schliesslich sagte ein Perspektivenbericht zum Bundeshaushalt für 1975 und 1976 Defizite in der Grössenordnung von je 1,1 Milliarden voraus (ebd., 1316). In dieser Situation wurde die Forschungskommission zu einem wichtigen Akteur.
Ungeachtet der sich ankündigenden Sparzwänge strich der designierte ETH-Präsident Heinrich Ursprung in einer Rede vor der Gesamtkonferenz der Professoren 1973 das Wort Stillstand sowie alle Synonyme aus dem Vokabular der ETH-Führung. Die ETH-Mittel und die Infrastruktur stellten seiner Meinung nach ein Potenzial dar, das auch ohne Wachstum nicht als Stagnation anzusehen sei:
"Von Stagnation könnten wir nur dann sprechen, wenn wir den Fehler begingen, neue gute Projekte von uns zu weisen mit der Begründung, sie könnten ohne gleichzeitige Zuweisung neuer Mittel nicht bewältigt werden. Ich bin nicht bereit, diesen Fehler zu begehen."
(zitiert nach Ursprung 1978, 58).
Ursprung entschied, alle Haushaltsgelder, die nicht über Personal- oder Betriebskosten gebunden waren – Personalkosten machten ungefähr drei Viertel des ordentlichen Budgets aus –, auf die Weise zu bewirtschaften, welche auch die Botschaft des Bundesrates kurz darauf vorschlug. Die Ausgaben sollten über Konzentration auf das Wesentliche und das Setzen von Prioritäten "straffer und auf längere Sicht" geplant werden (Botschaft des Bundesrates, Bundesblatt 1974 I, 1324).
Die Mittel zu 'Unterricht und Forschung' wurden fortan über die Projektfinanzierung, das heisst die Förderung von viel versprechenden befristeten Forschungsprojekten, umverteilt und gezielt eingesetzt. "Leider mussten wir hiefür erneut faktisch eine Kürzung der ordentlichen Kredite der Institute anordnen, indem wir diese nominell auf dem Stand 1976 belassen. Nur so war es uns möglich, die nötigen Mittel in die Hand zu bekommen", erläuterte Ursprung anlässlich des Voranschlags für das Budget 1977, woher der neue finanzielle Spielraum rührte (zitiert nach Ursprung 1978, 121). Für jede weitere Aufstockung hatten sich die Institute um ausserordentliche Kredite zu bewerben.
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"Die Institutsleitungen entwerfen die konkreten Forschungsprojekte und richten die Anträge nach Beratung mit dem Institutsrat an die Schulleitung. Diese unterbreitet die Projekte der Forschungskommission zur Begutachtung der wissenschaftlichen Qualität. Die Kompetenzen der Forschungskommission sind 1974 neu geregelt worden."
(ETH-Jahresbericht 1974, 16)
Bis zu diesem Zeitpunkt war die Erstbegutachtung der Drittmittelanträge seitens der Technischen Hochschule an den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF die wichtigste Aufgabe der Forschungskommission. Sie bestand aus 15-18 Wissenschaftlern. Der Verweis auf ihren hochschulinternen Bedeutungszuwachs bot Ursprung Gelegenheit, rhetorisch offensiv die Allianz mit der Professorenschaft zu suchen. Nicht die Verwaltung solle Wissenschaftspolitik betreiben, sondern in "allererster Linie" die Dozentenschaft der Hochschulen, "unserer eigenen, aber auch fremder Hochschulen". So sassen die Wissenschaftler nicht als Vertreter ihrer Abteilungen in der Forschungskommission, sondern als peers: Die Kommission beriet die Schulleitung als jenseits des ETH-Organigramms angesiedeltes Expertengremium.
Doch mit peer review allein war es nicht getan. Die Forschungskommission war gezwungen, ihre Vergabepolitik zu formalisieren, wollte sie die Nachvollziehbarkeit und damit die Anerkennung ihrer Entscheidungen sicherstellen (Gessler 2002, 4). Eine transparente Mittelvergabe war angezeigt, weil angesichts des dauerhaften Spardrucks alle förderungswürdigen Forschungsprojekte noch einmal nach innerwissenschaftlichen und hochschulpolitischen Kriterien sortiert werden mussten. Enttäuschung über die Ablehnung guter Gesuche war deswegen vorprogrammiert.
Probleme der Entscheidungsfindung und abweichende Begutachtungen durch Forschungskommission und die Schulleitung ergaben "sich vor allem dann, wenn nicht nur rein wissenschaftliche, sondern auch wirtschaftliche, politische oder strukturelle Argumente im Vordergrund stehen" (ETH-Jahresbericht 1983, 9). Auf diese Argumente hatte man sich aber sowohl in den umweltpolitisierten 1980er-Jahren wie auch in den neoliberalen 1990er-Jahren immer öfter einzulassen; die Massgabe des innovativen Zukunftsnutzens ging mit der Ökonomisierung der Hochschulen einher. So manche Gesuchsteller strichen die gesellschaftliche Relevanz der geplanten Forschung hervor, um öffentliche Gelder zu beanspruchen. Sie kamen darin Befürwortern von Priorisierung und Transparenz in der Wissenschaftspolitik entgegen. Beide Gruppen zählten mit dem ins Feld geführten Argument 'Nützlichkeit' nicht zuletzt darauf, die gemeinwohlorientierte oder volkswirtschaftliche Vernunft auf ihrer Seite zu haben und ihrer Position so besonderes Gewicht zu verleihen. Zugleich forderten sie die hergebrachten Interpretationen der Hochschul- und Wissenschaftsautonomie heraus.
An einem erstaunlich wenig genutzten ETH-Förderinstrument lässt sich aufzeigen, dass das Wissenschaftssystem an dieser Provokation zu knabbern hatte. Denn wünschenswerte ETH-Forschung, 1988 unter dem Stichwort "Polyprojekte" benannt, konnte die Antragshürden nur selten nehmen: interdisziplinäre, mehr als drei Wissenschaftlergruppen umfassende Forschungsvorhaben, die ingenieur- und naturwissenschaftliche Perspektiven, resp. sozialwissenschaftliche Ansätze miteinander verbinden und auch noch externe Partner einbeziehen. Zum "Mangel an Mut und thematischer Fantasie, bedingt durch traditionelle Ausbildungs- und Forschungsparadigma" (Gessler 2002, 36) und der weitaus aufwändigeren Vorbereitung und Durchführung der Projekte müssen die Schwierigkeiten der Wissenschaftler hinzugerechnet werden, interdisziplinäre Qualifikation auch in disziplinäre Gewinne umzumünzen: Entgegen vielfacher Beteuerungen dankt es einem kaum jemand, ausserhalb des eigenen Feldes zu kooperieren.
Gesellschaftspolitisch sensible Polyprojekte unter Schlagwörtern wie Risiko, Nachhaltigkeit oder Verstädterung und Raumentwicklung betrieben erfolgreiche Begleitforschung zu aktuellen Gesellschaftsentwicklungen. Dagegen taten sich die dezidiert auf unternehmerische F&E ausgerichteten Polyprojekte, beispielsweise die wearable computer-Forschung, schwerer, ihr Innovationspotenzial gegenüber der Industrieforschung nachzuweisen. Insbesondere diese Konstellation legte es nahe, die Polyprojekte 2003 durch das Förderprogramm Innovations-Initiativen INIT zu ersetzen: Mit INIT bewegt sich die ETH-interne Projektförderung wieder ganz auf eigenem Terrain. Gefördert werden neue wissenschaftliche Schwerpunkte, die bisher nicht im Fächer- und Forschungskanon der ETH vertreten sind.
Andrea Westermann