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Der Polyball

Das Jahr des ersten Polyballs ist nicht zu ermitteln. Nach punktuell überlieferten Feiern, so genannten "Akademien", seit den 1880er-Jahren, verdichtet sich die Dokumentation ab den 1910er-Jahren. Der traditionelle Polyball mauserte sich damals zum Gesellschaftsereignis. Die Veranstaltung besitzt ihre eigenen unterschwelligen Dynamiken.

"Zwei im Herbstwind zerrissen flackernde Flammen auf hohen Säulen, Fassaden vom Lichte der Scheinwerfer überspielt, strahlende Fenster, aus denen da und dort schon vereinzelte Tanzrhythmen erklingen – mit diesem festlichen Gesicht empfängt das Hauptgebäude der E.T.H." So berichtete die Neue Zürcher Zeitung 1949 über den Polyball. Der grösste Ball der Stadt habe sich wieder einmal als triumphaler Erfolg herausgestellt, so die Neuer Zürcher Zeitung 1960, über 3500 Paare seien der Einladung gefolgt. Für einen Abend vergesse man die Newton, Bernoulli und Galilei, die sonst "mit strengen Profilen" von den Mauern auf "die Alumnen der Wissenschaft" blickten.

Die aussergewöhnliche Stimmung, von der jeweils berichtet wurde, war zu einem guten Teil der Dekoration geschuldet. Sie sollte aus den Hochschulräumlichkeiten einen Ballsaal machen. In den Reportagen war ihr daher stets ein eigener Abschnitt gewidmet.

"Die beiden Eingänge bereits sind mit Lampengirlanden geschmückt, man bekommt ausführlich Gelegenheit, sie zu bewundern, da sich der Menschenstrom nur sehr mühsam gegen die Garderoben hinschiebt. ... Zum ersten Mal begegnen wir dem Motto des Balles: 'Farben'. Bunte, prächtige, klecksige, überschäumende und düstere Farben beherrschen das Feld. ... Besonders geistreich und witzig: 'Black and white' mit Assoziationen zum weltberühmten Whisky, zur edlen Kunst des Schachspiels und zum Zeitungsgewerbe."

(NZZ vom 21.11.1960)

Kein Zweifel, der Polyball elektrisiert. Aber er polarisiert auch. Die ehemalige VSETH-Vorsitzende und heutige Nationalrätin Barbara Haering erinnert sich, dass der Vorstand des Studierendenverbandes in den 1970er-Jahren jedes Jahr im Delegierten-Convent den Antrag stellte, den Polyball abzuschaffen. Denn ein Polyball, an dem auch die Professorenschaft teilnehme, habe etwas mit "der alten Studentenschaft, mit dem grünen Liederbüchlein" zu tun (ETHistory-Interview mit Barbara Haering vom 3. Oktober 2004).

Haering hätte ihre schlimmsten Befürchtungen wohl noch 1980 bestätigt gesehen: Der Polyball war seit Jahrzehnten nichts anderes als die schulbehördlich institutionalisierte Gelegenheit, private Weichen für die Zukunft zu stellen. So zieht sich neben dem jährlich wechselnden Motto stets ein zweites Thema durch Programmhefte, Festreden und Zeitungsberichte. Athene habe für eine Nacht Apollo und den Musen den Platz geräumt, Aphrodite wandele unsichtbar durch die Gänge, unzählige Amoretten flirrten mit leuchtenden Blicken bewaffnet treppauf treppab, am Polyball sei der Gott Amor jeweils sehr beschäftigt. Tatsächlich ging es dort für die jungen Naturwissenschaftler und Ingenieure um Frauen, Heirat und damit um die Absicherung und Reproduktion der eigenen Sozialstrukturen. Das Motto, das sich die Polyballkommission anlässlich des 125-jährigen Bestehens "des Poly" 1980 ausdachte, war denn auch bedeutungsvoller, als dies die Urheber wohl intendiert hatten. Es lautete "53=125 Jahre: Traumzeit hoch drei" und eignete sich zu vielfachen Verdrehungen und Assoziationen.

Im Festjahr 1980 fragte die Kommission für studentische Anlässe KOSTA den damaligen ETH-Präsidenten Heinrich Ursprung um einen Ballalmanach-Beitrag über die "Ingenieurstudenten der Zukunft" an. Der Beitrag solle "den Kern des Themas mit der dem Anlass gemässen Feder treffen". Ursprung führte im Wesentlichen aus, "dass wie jeder anständige rechtschaffene Mann auch, wie Naturwissenschafter, Architekten, Arbeiter, Mathematiker, Handwerker, Juristen, Kaufleute, Pharmazeuten, Gewerbetreibende, Phil-Eins und Phil-Zweier etc., wie jeder anständige rechtschaffene Mann ... der Ingenieurstudent mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Frau finden und eine Familie gründen wird" (ETH-Bibliothek, Archive, unbearbeitete Abl. 2003/09. ETH-Texte 1980-1984. "Zur Zukunft des Ingenieurs", Rede Heinrich Ursprungs am Polyball 1980).

Freilich wurden alle Begehrlichkeiten zunächst einmal in ihr Gegenteil verkehrt und auch dann konnte man das Kind noch nicht beim Namen nennen. "Bei bestimmten Theologen", so kam Ursprung der Bitte um den der Veranstaltung angemessen heiteren Tonfall nach, "ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer, nicht wegen Mangel an Anstand und Rechtschaffenheit, sondern weshalb? Als Test 1 wird der Dame empfohlen, den Ingenieurstudenten um eine Erklärung zu bitten. Allgemeine Bildung. Das Stichwort beginnt mit Z."

Naturwissenschaftlerinnen wie Haering mussten sich von Hochschulanlässen wie dem Polyball doppelt ausgeschlossen fühlen. Nicht nur dass wissenschaftliche Nachwuchsrekrutierung auf männlich dominierten Lehrer-Schülergenealogien beruhte. Die älteren Semester phantasierten ihren Zöglingen noch um 1980 Bilder der Ehe vor, die darauf hinausliefen, dass Frauen ihre wissenschaftliche Karriere nach der Hochzeit aufgaben. Eine Belohnung für diesen Rückzug und die immer freundliche, kreative Unterstützung stand allerdings in Aussicht. "Wenn sich dann einmal wirklich der Ruhm einstellt, so werden die Strahlen der Ruhmeskrone gleich zwei Stirnen beleuchten", zitierte Ursprung den berühmten spanischen Hirnforscher, Wissenschaftscauseur und Patriarchen Santiago Ramón y Cajal als abschliessende Pointe. Solchermassen getröstet: Gaudeamus igitur!

Andrea Westermann

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