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Vom VSETH in den Nationalrat. Interview mit Barbara Haering

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Barbara Haering war 1976/77 VSETH-Präsidentin und hat an der Abteilung für Naturwissenschaften der ETH studiert. Heute ist sie Nationalrätin und leitete unter anderem im Herbst 2004 die OSZE-Wahlbeobachtermission in den USA.

Schon während ihrem Studium haben Sie sich im VSETH engagiert. Wie sind Sie dann zur nationalen Politik gekommen?

Ich habe eigentlich nie die Politik gesucht als ideologisches Projekt – dass ich etwas Bestimmtes politisch fordern wollte – sondern es entwickelte sich alles aus meinem Engagement, immer dort wo ich gerade war. In meinem damaligen Wohnort Adliswil sass ich in der Planungskommission und habe nach dem Hauptstudium noch ein Nachdiplomstudium in Orts- Regional und Landesplanung absolviert. Damals war Raumplanung wirklich ein zentrales Thema, und so bin ich mit 25 in den Kantonsrat gewählt worden, noch während dem NDS. Nach vier Jahre bin ich nicht mehr zur Wahl angetreten, weil ich das Gefühl hatte, gesagt zu haben, was ich zu sagen hatte. Ich habe dann auf dem Sekretariat der Stadt-Zürcher SP und daneben an meiner Dissertation gearbeitet. Diese habe ich dann aber ruhen gelassen, denn in dieser Lebensphase kam vieles zusammen, meine Tochter und eine neue Arbeitsstelle... Danach wurde ich in den Nationalrat gewählt. Meine Dissertation habe ich mit 40 innerhalb von drei Jahren erfolgreich fertiggestellt und habe es total genossen, mich wieder eingehend in ein Thema vertiefen zu können. Später war ich etwas mehr als ein Jahr Generalsekretärin der SP Schweiz und schliesslich übernahm ich von Elmar Ledergerber die Firma econcept.

Aus der Bildungspolitik kennt man Sie auf nationaler Ebene nicht. Weshalb ist dies so?

Ich konzentriere mich im Parlament auf Sicherheitspolitik. Dies, weil ich strikt trennen will zwischen meinem Beruf und meiner politischen Tätigkeit. In den Bereichen Umwelt- und Bildungspolitik halte ich mich zurück. In diesen Bereichen erhält econcept Aufträge. Weiter engagiere ich mich bildungspolitisch im Unirat, was sehr aufwändig ist, und für den Nationalfonds, ausserhalb des Parlaments also. Aber sobald es öffentlich ist, halte ich mich zurück. Ich habe 1994/95 die WBK (= Nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur) präsidiert und bin daraus zurückgetreten, als ich die Firma übernommen habe, da zu erwarten war, dass es auch in diesem Bereich Mandate geben würde. Meine Auftraggeber müssen die Gewissheit haben, dass ich meine Insiderinformationen nicht ausnutze. Es ist für sie sehr wertvoll, von meinem Wissen über politische Prozesse profitieren zu können, aber sie müssen sich auf mich verlassen können.
Im Rahmen der Sicherheitspolitik engagiere ich mich je länger je mehr in der OSZE. Die Zusammenarbeit mit Vertretern aus vielen verschiedenen Staaten ist spannend und menschlich sehr bereichernd. In internationalen Kreisen ist unser Milizparlament allerdings etwas Ungewohntes. Meine Mission als Wahlbeobachterin in den USA wurde über mein Natel abgewickelt und die Leute waren immer erstaunt, weil sie dachten sie erreichen die Sekretärin der persönlichen Mitarbeiterin...
Vom Unirat her kennen sie ja das Thema Studiengebühren…
Ich hab mich lange mit dem Thema auseinandergesetzt. In den letzten dreissig bis vierzig Jahren haben wir in der Schweiz die regionalpolitischen Bildungsdisparitäten zum verschwinden gebracht. Wir haben auch die Benachteilung der Frauen mehrheitlich überwunden, zumindest auf der Stufe des Studiums. Was wir aber eben nicht erreicht haben, ist, die sozialen Disparitäten in der Bildung zum Verschwinden zu bringen. Wenn man die soziale Zusammensetzung eines Jahrgangs in der Primarschule, im Gymnasium und nachher an der Uni vergleicht, so wird dies deutlich. Wir sagten immer, die Studiengebühren müssten tief sein, da sonst die tieferen Bevölkerungsschichten nicht zu einer höheren Ausbildung kommen können. Trotzdem wurde kein Ausgleich erreicht. Vielmehr profitieren von den tiefen Studiengebühren im Wesentlichen Leute aus mittleren und höheren Schichten. Aus diesem Gesichtspunkt ist meine sozialpolitische Argumentation für tiefe Studiengebühren nicht aufgegangen. Ich hatte mich immer für keine oder ganz tiefe Studiengebühren eingesetzt. Heute aber kann man mit mir über eine Erhöhung reden. Das Thema ist für mich kein Tabu. Doch ich habe eine absolute Bedingung: Zuerst muss das Stipendiensystem anders aussehen. Die Stipendien müssen erstens erhöht und zweitens national harmonisiert werden. Solange dies nicht erfüllt ist, kommt für mich eine markante Erhöhung der Gebühren überhaupt nicht in Frage.

Wer sollte denn die Stipendien finanzieren, Kantone, Bund, Private?

Die Finanzierung der Stipendien ist Sache der öffentlichen Hand. Einerseits weil es eine sozialpolitische Aufgabe ist, eine begabungsspezifische Bildung zu fördern, andererseits weil wir das in der Bevölkerung vorhandene Potential für den Arbeitsmarkt nutzen müssen.

Woher nimmt der Bund das Geld?

Es gibt schon noch Bereiche, wo wir Einsparungen machen können, aus meiner Sicht klar immer noch die Armee.

Wie steht es mit Darlehen anstelle von Stipendien?

Grundsätzlich und unabhängig davon, ob ich das gut finde oder nicht, denke ich, wird ein Ausbau des Stipendiensystems wohl in diese Richtung gehen. In der Schweizer Mentalität liegt es aber, dass man nicht gerne Schulden macht. Niemand startet gern mit Schulden in eine berufliche Laufbahn. Deshalb bin ich der Meinung, dass es der falsche Weg wäre. Mit einem Darlehensystem gäbe es trotzdem Leute, die nicht studieren würden, weil sie sich nicht verschulden wollen.
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In der Rolle der ETH zeigt sich ein Spagat zwischen einer Hochschule von Weltformat – und dem Auftrag zur Ausbildung von Schweizer Berufsleuten, die ein solides Fundament besitzen und nicht unbedingt zur wissenschaftlichen Spitze gehören müssen. Was denken Sie, wie wird sich dies weiter entwickeln?
Man muss unterscheiden zwischen Bachelor und Master. Ich denke auf Bachelorstufe gibt es einen solchen Auftrag der Berufsbildung für den regionalen Markt als “service public“.
Der internationale Wettkampf wird ohnehin erst auf Masterstufe ausgetragen. Da verstehe ich, und finde es auch richtig, dass die ETH versucht in der obersten Liga mitzuhalten. Dies ist aber nur möglich, wenn das System der Fachhochschulen ausgebaut wird. Dort muss mehr Forschung und Wissenschaft in die Ausbildung einfliessen, nicht nur Schulisches wie bespielsweise an den früheren Technika. So lässt sich national auch wieder ein ausgewogenes System schaffen. Folglich werden Fachhochschulen auch Masterstudiengänge anbieten müssen, aber nicht in allen Gebieten, sondern dort, wo sie spezifische Forschungsschwerpunkte setzen. Daraus ergibt sich ein Netz von Ausbildungsgängen, das vielfältig ist, das sowohl die Bedürfnisse des Landes, des Heimmarkts, als auch die begabungsspezifischen Bedürfnisse erfüllen kann. Nicht alle können und wollen Spitzenforscher werden. Wir brauchen in der Schweiz ein Angebot für jene, die in der internationalen Liga forschen, und zwar insbesondere auch in den nachgelagerten, anwendungsorientierten Forschungsbereichen und deren Umsetzung in der Produktion.
Ich gehe darum auch davon aus, dass die erste Generation von Bachelorstudiengängen nochmals justiert werden muss. Es muss ein Ziel sein, dass der Bachelor berufsbefähigend wird. Vorher kann auf der Masterstufe nicht nochmals eine Selektion eingeführt werden.

Wie sind Sie damals zum VSETH gekommen?

Ich bin fast ein bisschen aus Versehen dazu gekommen. Aber wenn’s nicht jener Anlass gewesen wäre, dann wär’s wohl ein anderer gewesen. Im ersten Semester hörten wir als Studierende dreimal anstatt Analysis I hochschuldidaktische Vorträge. Der NV (= Naturwissenschaftlicher Verein, ehemaliger Fachverein, aus dem die heutigen Fachvereine VEBIS, erfa und UFO hervorgegangen sind) hatte damals erkämpft, dass Hochschulreformveranstaltungen während der Vorlesungszeit stattfanden. Als ich 19jährige, junge Studentin aus der Vorlesung herauskam, hat mich im Korridor Herr Guggenbühl vom Pressedienst angesprochen und gesagt, er würde gern ein Interview mit mir machen. Da dachte ich, für ein Interview müsse ich doch erst etwas von Hochschulreformen verstehen, und folglich ging ich in die Arbeitsgruppe, welche diese Vorträge organisierte. Zweimal war ich an Sitzungen dieser AG, bevor ich zum vereinbarten Interview ging. Da stellte sich heraus, dass er mich eigentlich nur als Erstsemestrige interviewen wollte, überhaupt nicht über die Hochschulreform. Ich blieb dann aber in diesem Gremium des NVs und danach wurde ich Delegierte im DC (= Delegierten-Convent, heute Mitgliederrat des VSETH).
Schliesslich, als Thomas Dähler, der jetzt lange FDP-Kantonsrat war, für das Amt des DCPräsidenten kandidierte, da sagte ich mir: „Nein, aber nicht der Thomas. So ein Bürgerlicher!“ Also trat ich gegen ihn an und wurde gewählt. Danach wurde ich VSETHVizepräsidentin, so hat’s einen dann...

Ging das damals bei der Wahl nur schon des DC-Präsidenten so hoch politisch zu und her?

Ja, 1972/73 war das durchaus so. Man hatte quasi eine politische Konnotation und man wusste, dass Thomas einer der Bürgerlichen war. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass er im Freisinn schon immer einer der Liberalen war. Aber damals ging das natürlich nicht, deshalb kandidierte ich gegen ihn (lacht).

Der Vorstand stand damals also auch ziemlich links?

Das kann man sagen. Ich war auch schon in der SP Adliswil. An der Uni war alles parteipolitisch organisiert, bei uns etwas weniger. Die wenigsten waren zwar in einer Partei, aber man wusste schon, wo die Leute standen.

Was waren damals die aktuellen Themen?

Zwangskörperschaft, Zwangskörperschaft, Zwangskörperschaft - respektive die Abschaffung derselben im Zuge dieser politisierten Situation. Damals habe ich sehr viel Verwaltungsrecht gelernt. Wir waren mehrmals, mindestens einmal während meiner Amtsperiode vor Bundesgericht. Wir hatten uns einen der ganz renommierten Anwälte genommen, ein politisch konnotierter durfte es da nicht sein.
Mit der Frage der Zwangsmitgliedschaft im Studierendenverband war die Frage verbunden, was es mit dem studentischen Mandat auf sich hat. Hat die Studentenschaft ein allgemeines politisches Mandat? Soll sie sich zu allen politischen Themen äussern? Oder eben nur zu dem, was die Studierenden direkt betrifft? Ich habe damals einen pragmatischen Weg gesucht. Persönlich hatte ich für allgemein politische Aussagen sowieso ein anderes Gefäss, die SP. Der VSETH hatte sich auf die studentische Anliegen im engeren Sinn zu konzentrieren und damit konnte die Zwangskörperschaft gerettet werden. Der Kleine Studentenrat an der Uni4 hat immer viel breiter zur politischen Revolution aufgerufen und ist deshalb, so kann man das sagen, auch abgeschafft worden.
Meine Zeit kam damals gerade nach den grossen Unruhen. Einer meiner Vorgänger, Pierre Freimüller war von der ETH gewiesen worden, unter anderem weil er als VSETH-Präsident im Begrüssungsbrief an die Studierenden die ETH als Eidg. Techn. Kindergarten betitelt hatte. Pierre Frei“fall"müller nannte man ihn auch…
Der Rektor, ein Forstwissenschaftler, sagte damals einmal, er komme nur an die studentischen Veranstaltungen, weil er sich als Förster gewohnt sei, mit den Stiefeln im Dreck herumzustapfen. Das war eine aufgeladene Zeit, vor mir. Mir war es darum ein grosses Anliegen, die Studierenden wieder in die Gremien der Hochschule zu bringen. In der Reformkommission beispielsweise war ich sehr aktiv.
Ebenso war es mir ein politisches Anliegen, die Zusammenarbeit von Studierenden, Assistierenden und Personalverband zu stärken. Die verschiedenen Kreise miteinander zu verbinden, sie wieder hineinzubringen in den politischen Prozess und ihre Position zu stärken. Da könnte man jetzt sagen: Typisch sozialdemokratisch, der Marsch durch die Institutionen.
Ein weiteres grosses Thema war das Neubauprojekt Polyterrasse. Der VSETH hat den Boden der Turnhalle finanziert und sich damit das Nutzungsrecht für eine grössere Anzahl Räume gesichert.

Sie hatten noch Zeit fürs Studium?

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Eine ganz gute Kollegin von mir, Rita, wollte an die OL-Welt-Meisterschaften und ich wollte das VSETH-Präsidium übernehmen. So haben wir uns abgesprochen und die Vorlesungen unter uns aufgeteilt, das Material gemeinsam zusammengetragen und aufgearbeitet. Dadurch konnten wir das Studium im normalen Tempo durchziehen. Das ging aber nur, weil wir total gut harmonisierten, die gleiche Art zu lernen und das gleiche Stoffverständnis hatten. Wir schrieben auch die Diplomarbeit zusammen.

Barbara Haering hat zwischen 1972 bis 1977 Naturwissenschaften an der ETH studiert, sowie 1979 das Nachdiplomstudium als Raumplanerin abgeschlossen. Während ihres Studiums hat sie sich im Fachverein und im VSETH engagiert, dessen Präsidentin sie 1976/77 war. Sie lebt in einer festen Partnerschaft und hat eine 17jährige Tochter. Seit 1990 sitzt sie als Vertreterin der SP des Kantons Zürich im Nationalrat, wo sie zuerst 8 Jahre Mitglied der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur war (WBK) und nun Vizepräsidentin der sicherheitspolitischen Kommission ist. In der OSZE ist sie vor allem in der Sicherheitspolitik aktiv und nimmt sie das Amt der Vizepräsidentin der parlamentarischen Versammlung der OSZE wahr. Bildungspolitik ist für sie heute noch ein Thema, als Mitglied des Unirats der Universität Zürich. Zudem ist sie Managing Partner und Verwaltungsratspräsidentin von econcept, eines Unternehmens an der Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis.

Interview: Therese Haller und Mauro Pfister, haller@vseth.ethz.ch, pfister@vseth.ethz.ch

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