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Bildungsgänge

 
   
           
 

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"Die Kultur junger Erwachsener". Der Verein der Polytechniker und der VSETH

Zukunftspläne der Eltern und Studienpläne des Rektorats geben die Bildungsgänge der ETH-Studierenden in groben Zügen vor. Die Fachverbindungen und der zentrale Studierendenverein VSETH lassen sich dagegen als Instrumente der Selbstbildung und Eigenpositionierung definieren.

"Die Geschichte des VSETH wäre sicher für Soziologinnen ein hervorragendes Forschungsthema, wo sich die Entwicklung der Kultur junger Erwachsener an einer Hochschule ablesen lässt." 1992 stellte Physikstudent und VSETH-Mitglied Erwin Heimgartner seine Organisation in einem Referat zu den "Historischen Zusammenhängen rund um den VSETH" als Gegenstand einer Soziologie der Jugendkultur vor. Damit ordnete er den Studierendenverband in die "allgemeine Lage von Gesellschaft, Kultur und Politik ein". Die Perspektive ist gewinnbringend. Sie macht drei Funktionen des VSETH und seiner Vorläuferorganisationen sichtbar, die nicht immer miteinander in Einklang zu bringen waren: Interessenvertretung, Selbstorganisation und die Hochschulrepräsentation.

Nachdem frühere Anläufe versandet waren, kam es 1878 zu einem neuen Gründungsaufruf für einen "Verein der Polytechniker", der an das politische Selbstverständnis appellierte:

"Kommilitonen! Der Verein, den wir zu gründen im Begriffe sind, soll nicht allein die wissenschaftlichen und geselligen Bestrebungen einzelner Fachschulen fordern, er soll vor allem eine Einigung der ganzen Studentenschaft erzielen, soll durch diese eine energisch und erfolgreiche Vertretung der Gesamtinteressen ermöglichen. Nur wenn er die Mehrzahl der Studierenden in sich begreift, ist ihm eine solche Vertretung möglich. Deshalb ist eure massenhafte Beteiligung an dem Vereine dringend notwendig."

(VSETH 1913, 12)

Der Verein der Polytechniker hatte den Anspruch, künftig im Namen aller Studenten zu sprechen. Eine sichtbare und dauerhafte Vertretung wollte aber erst einmal organisiert sein. Angesichts der generationsbedingten hohen Fluktuation der aktiven Mitglieder war dies nicht ganz einfach. Spätere Geschichtsschreiber, so wurde im Verbandsrückblick 1913 bemerkt, fänden keine "ruhige und gleichmässige Entwicklung" vor, die eine einfache Darstellung garantiere. Die Autoren dieser Ausführungen standen schon damals vor Problemen: "Bald schiesst eine glückliche Saat reich aus dem Boden hervor, wächst gewaltig an zu glänzender Blüte, um nach kurzer Zeit hinzuwelken." Eigene Organisationsstrukturen aufzubauen und zu bewahren, nahm daher im Alltag der Studentierendenvereinigung grossen Raum ein.

Die institutionelle Verknüpfung mit der übrigen Hochschulverwaltung erfolgte 1903, als der Delegierten-Convent des Polytechnikerverbandes zum offiziellen Schulgremium aufstieg und eine allgemeine Beitragspflicht eingeführt wurde. Damit repräsentierte der nachmalige VSETH die Hochschule nun auch offziell nach aussen. Diese Pflicht wirkte bei aller Distanzierung gegenüber der Schulleitung – nur allzu oft waren Rektor und Professorenkollegium die Gegenspieler – in den Verband hinein und machte einen Teil der spannungsreichen studentischen Identität aus: Die Studierenden setzten sich von den Autoritäten einerseits rebellierend ab, bildeten andererseits aber akademisches Standesbewusstsein aus und stellten es öffentlich zur Schau.

Obenstehende Quellen erhellen die beiden Aufgaben der Repräsentation und Selbstorganisation. 1899 dankte der Delegierten-Convent dem Maschinenbauprofessor Stodola dafür, dass er einen Ruf nach Budapest abgelehnt hatte. Der Verband sah die Interessen der Hochschule gewahrt und stellte dem Professor eine originelle Urkunde aus. Einen exemplarischen Einblick in die Organisationskultur der 1980er-Jahre gibt der Streit um die Reinigung des Kühlschranks im VSETH-Büro. Die in der Quelle dokumentierte ironische Anwendung von Verfahrensregeln aus der Hochschulverwaltung auf ein banales Alltagsproblem zeigt: Die Handlungsfähigkeit der Organisation ist eine fragile Errungenschaft. Diese Fähigkeit bei den längst selbstverständlichen flachen Hierarchien zu bewahren, verlangte den aktiven Mitgliedern grosse Diskussionsbereitschaft und eine hohe Toleranzschwelle ab.

Die Ehrenamtlichkeit erschwerte die kontinuierliche Arbeit. Daher stand die Frage der Vorstandsentschädigung immer wieder auf der Tagesordnung der Delegiertenversammlung. Der VSETH-Präsident Erhard begründete den schon 1965 diskutierten Vorstoss, "Funktionären" eine festen Lohn zu zahlen, damit, dass man sich von dieser Gegenleistung mehr Mitarbeiter verspreche: "Diese Bezahlungen sind Eingeständnisse gegenüber der Ehrenamtlichkeit, es sind aber auch Eingeständnisse gegenüber der Wirklichkeit" (ETH Bibliothek, Archive, Hs 1044:163-1, Protokoll des 2. ordentlichen Delegierten-Convents des VSETH 1964/65, 18.2.1965).

Um auf den Putz-Antrag vom Januar 1984 zurückzukommen: Hier wurden Extra-Gratifikationen gefordert, allerdings in der dem Selbstbild entsprechenden sympathischen Form von Naturalien: "2 Flaschen Weihnachtswein und 1 Büchsli Stadel-Honig." Was die Mitarbeit im VSETH offenbar reizvoll macht, und hier zeigt sich eine Kontinuität zu den Studentenverbindungen des 19. Jahrhunderts, ist nicht allein die hochschulpolitische Partizipation. Mit dem persönlichen Engagement werden auch breitere gesellschaftspolitische Gestaltungsmöglichkeiten ausgetestet, zu denen männerbündische schlagende Verbindungen ebenso gehören wie alternative Lebensstile mit eigenen Regeln: Die WG-Küche lässt grüssen.

Derzeit beziehen die VSETH-Vorstände 500 Franken Sitzungsgeld monatlich, inklusive Spesen.

Andrea Westermann

   
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