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Zürich als Ort disziplinierender Geselligkeit

Die Studenten des 19. Jahrhunderts wurden nicht nur an ihrem Wissen gemessen. Auch die Anleitung zur Sittlichkeit und Nüchternheit verstand man als Teil der Ausbildung.

Was kennzeichnet die Studenten des 19. Jahrhunderts? Welche Ansprüche stellte die damalige Gesellschaft an die studentische Jugend? Welche Eigenschaften hatten sich angehende Polytechniker ausserhalb des Lehrplans anzueignen? "Wenn man sieht, was Alles von dem Universitätssitz verlangt wird, so darf man ohne Unbescheidenheit sagen, dass Zürich weniger einer schweizerischen Universität bedarf als diese Zürichs", erklärte die Neue Zürcher Zeitung vom 28. Januar 1854 und beteiligte sich damit entschieden an der Debatte über den idealen Standort einer eidgenössischen Universität.
Dieser stand im Januar 1854, als in den eidgenössischen Räten über die Ausgestaltung des Hochschulartikels verhandelt wurde, noch nicht eindeutig fest. Zunächst war von der Errichtung einer Universität in Zürich und einem "Polytechnikum im Westen" die Rede. Beinahe über Nacht kam die Idee auf, zwei nationale Institute in Zürich zu vereinen, um die personellen und institutionellen Ressourcen möglichst produktiv einzusetzen. Die Zürcher Hochschulbefürworter, allen voran Alfred Escher, blieben jedoch skeptisch gegenüber diesem "Danaer-Geschenk": Sie fürchteten, eine institutionelle Kumulation in Zürich könnte die föderalistischen Zentralisierungsängste schüren und schliesslich zur Ablehnung beider Projekte führen.
Von hohen Ansprüchen umgeben: Postkarte des Vereins Architektura, um 1910.
Von hohen Ansprüchen umgeben: Postkarte des Vereins Architektura, um 1910.

Die NZZ hielt nicht viel von strategischer Zurückhaltung und nutzte die Debatte, um vertieft über die Ansprüche an einen Universitätssitz nachzudenken. Nicht nur die "Leistungen, welche der Gesetzesentwurf verlangt und denen Zürich jedenfalls im Einzelnen so viel und im Ganzen mehr als jede andere Schweizerstadt gewachsen ist", seien in Erwägung zu ziehen, so etwa die bereits vorhandenen wissenschaftlichen Sammlungen, die Spitäler, der botanische Garten, die herzustellenden "Gebäulichkeiten" oder der jährlich anfallende Geldbetrag. Einen entscheidenden Vorteil Zürichs sah die NZZ in dessen "wohltätigem Einfluss auf die studierende Jugend":

"Wir haben namentlich die geselligen Verhältnisse im Auge, die in Zürich so gestaltet sind, dass sie den wohltätigsten Einfluss auf die studirende Jugend üben müssen. Vor Allem herrscht in Zürich grosse Privatthätigkeit, die aus hundert und hundert Werkstätten heraus dem Schlendrian wie ein Vorwurf entgegentönt. Die Bevölkerung ist hinlänglich gross und auch selbstständig genug, um ein paar hundert Studenten mehr oder weniger unter sich verschwinden zu lassen, so dass von dem sogenannten deutschen Studentenleben, wie es der Nouvelliste vaudois darstellt, gar nichts zu befürchten ist.
Zudem ist unser Publikum in religiöser und politischer Beziehung hinlänglich tolerant, jedenfalls toleranter als dasjenige der meisten grössern Schweizerstädte; das Leben in den Familien ist bei einer eleganten Aussenseite doch in der Regel einfach und besonders die wohlhabenden Häuser geben selten das Beispiel der Verschwendung; ein junger Verschwender würde sich sehr bald lächerlich oder verächtlich machen."

Eine Universitätsstadt musste nicht nur eine angemessene akademische Infrastruktur und geeignete Einrichtungen für die praktische Anschauung bieten, die Studierenden wurden nicht nur in den wissenschaftlichen Labors und bürgerlichen Bildungsinstitutionen sozialisiert. Einen entscheidenden Einfluss erwartete man auch von den "geselligen Verhältnissen" und der grossen Geschäftstüchtigkeit Zürichs: Die soziale Kontrolle in den betriebsamen Gassen und der gesittete Geist in den Familien und Pensionen, in denen die jungen Männer untergebracht waren, würden verhindern, dass "Schlendrian" und Bohemienleben sich ausbreiten. Neben dem als "deutsch" apostrophierten Negativbild des "Studentenlebens" fürchtete man vor allem ein Abgleiten der elterlicher Aufsicht entzogenen jungen Männer in Verschwendungssucht. Durch die fleissigen Bevölkerung Zürichs würde die Minderheitengruppe der Studenten diszipliniert und zu Rechtschaffenheit erzogen, argumentierte die NZZ.

Dass die Disziplinierung der Polytechnikums-Schüler zu grosser Besorgnis Anlass gab, zeigen auch die Schriften von Josef Wolfgang Deschwanden. Der vormalige Rektor der Zürcher Industrieschule und erste Direktor des Eidgenössischen Polytechnikums fürchtete weniger die "Verschwendungssucht" als vielmehr den "verderblichen" Wirtshausbesuch: "Vorzüglich nun, im Winter, tritt das Bedürfnis von etwas mehr gemeinschaftlichem Leben für die Schüler ein, wo nicht jeder gern den ganzen Abend mit studieren ausfüllt, u. alsdann die Kneipe gar nahe steht u. lustige Cameraden gar zu fröhlich hineinwinken", schreibt Deschwanden in den 1840er Jahren an seinen Vater. Die bereits an der Industrieschule geübte "Anleitung zum Privatfleiss" sowie die Überwachung der Schüler während ihrer "freien Zeit" möchte er auch am Polytechnikum institutionalisieren. "Erster Versuch einer geselligen Zusammenkunft von Lehrern u. Schülern, zum grossen Vergnügen der letztern", hält sein Tagebuch vom 30. Juni 1855 fest. "Es ergab sich wenigstens das Gute, dass bereits ein Projekt zur Anordnung eines kleinen Orchesters, eines Gesangsvereins, u. zum Beginn eines Albums entworfen wurde. Freilich ist noch viel Rohheit abzuhobeln." (Gyr 1981, 127)

In sittlicher Hinsicht hatten allerdings nicht nur die Studenten, sondern auch die Professoren ein Imageproblem. Das lässt sich beispielsweise in den Briefen von Francesco de Sanctis nachlesen: "Sie sind schon ziemlich komisch, diese deutschen Professoren", schreibt der erste Polytechnikumsprofessor für italienische Literatur im April 1856 an seinen Freund Angelo Camillo De Meis. "Sie haben rote Gesichter vom Trinken, und jeden Abend besaufen sie sich wie die Templer." Unter den Polytechnikern gebe es nur zwei Arten von Einladungen: Die einfache Einladung beschränke sich auf den Konsum von Wein. Die grösste Ehre aber, die Studenten einem Professoren erweisen könnten, sei, diesen zu einem Umtrunk "usque ad ebrietatem", bis zur Bewusstlosigkeit, einzuladen. (De Sanctis 1913, 13)

Monika Burri

   
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