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Politkarrieren

 
   
           
 

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Grenzen der internationalen Mobilität

Im Kontrast zum grenzüberschreitenden Forschungsrenommee der ETH ist die gegenwärtige Studentenschaft nicht besonders international. Das war früher anders.

Während in den frühen Jahren der ETH-Geschichte zeitweise über 60% der Studenten aus dem Ausland kam, ist der Anteil ausländischer Studierender seit 1963 nicht mehr über die 20%-Marke geklettert. Dieser Rückgang, der sich zwischen 1887 und 1922 besonders deutlich akzentuierte, bedeutet nicht unbedingt, dass die ETH ihre Anziehungskraft einbüsste. Vielmehr liegt die Erklärung nahe, dass in Österreich-Ungarn und in Russland, von wo bis zum Ende des Ersten Weltkrieges viele der Ausländer kamen, eigene technische Hochschulen von genügender Qualität entstanden. In dieser Phase verlor der push-factor der akademischen Migrationsbewegung tendenziell an Kraft, während der pull-factor unverändert weiter bestand. Auf einem prozentual tiefen Niveau dominierten in der anschliessenden Zwischenkriegszeit ausländische Studierende aus den Niederlanden und aus Norwegen und nach 1945 waren Frankreich und Deutschland die wichtigsten Herkunftsländer (ETHistory 040202, Statistischer Überblick Nr. 6).

Der Ausländeranteil der ETH-Studierenden (blau) war lange Zeit rückläufig.
Der Ausländeranteil der ETH-Studierenden (blau) war lange Zeit rückläufig.

Der Schulrat beklagte den Rückgang des Ausländeranteils bei den Studierenden stets. Nur widerwillig führte er angesichts knapper Bundesfinanzen 1919 für Ausländer erhöhte Studiengebühren ein, wie es an den meisten Hochschulen bereits üblich war. Schon 1923 wurde die Regelung aber wieder aufgehoben, weil wegen der Jahresgebühr von 600.- Franken die Zahl der ausländischen Studierenden überraschend schnell um mehr als die Hälfte gesunken war. Dadurch schmolzen die finanziellen Vorteile der Gebührenordnung fast völlig weg, während der Ruf der Schule in den Augen des Schulrats durch die Ungleichbehandlung von Schweizern und Ausländern schweren Schaden nahm. Wichtiger war aber ein wirtschaftliches Argument: ausländische Studierende dürften nicht als "unerwünscht" behandelt werden, mahnte die leitende Behörde, weil sie unersetzliche Werbeträger für die Exportwirtschaft seien (Schulratsprotokolle, SR2:1924, 23.02.1924, Trakt. 24). Noch 1940 wurde ein Antrag des Studentenverbandes auf erhöhte Ausländergebühren mit der Begründung abgelehnt, die Schweiz habe ein grosses Interesse daran, "dass Ausländer unsre Arbeit und Produktion auf Grund eigener Kenntnis später im Ausland vertreten" (Schulratsprotokolle, SR2:1940, 30.03.1940, S. 72ff.). Dieser offenen Haltung erwuchs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrt Widerstand. Schon 1908 hatte der Nationalrat mit einer Gebührenerhöhung für Ausländer explizit auch den Andrang "lästiger fremder Elemente" vermindern wollen. 1932 reichte eine Gruppe schweizerischer Studenten und Assistenten bei der Zürcher Fremdenpolizei eine Beschwerde ein, mit der die ETH-Professoren verpflichtet werden sollten, "in Hinblick auf die grosse Zahl arbeitsloser Ingenieure" bei der Anstellung von Assistenten künftig Schweizer zu bevorzugen (Schulratsprotokolle, SR2:1932, 17.09.1932, S. 80). Das gleiche Anliegen verfolgte auch ein Artikel in der faschistischen Front vom 17. August 1934, der unter dem Titel "Ist unsere Eidgen. Techn. Hochschule ebenfalls verjudet?" scharf gegen die von ihr so genannten "Reklamestudenten" anschrieb.

Nach der Machtergreifung der NSDAP war die Problematik der ausländischen Studierenden an der ETH weit gehend zu einem "Judenproblem" geworden, wie sich Arthur Rohn ausdrückte. 20 Neuimmatrikulationen hätten für das Sommersemester bereits stattgefunden, wovon 19 jüdische Studierende seien, meldete Rektor Plancherel im April 1933. "Übrigens ist zu bemerken", führte er weiter aus, "dass die meisten ausländischen Studenten der E.T.H. Juden sind" (Schulratsprotokolle, SR2:1933, 22.04.1933, S. 74). Je deutlicher die nationalsozialistische Judenverfolgung an Kontur gewann, umso stärker wuchs in der Schweiz die Angst vor einer "Überfüllung der E.T.H. mit deutschen jüdischen Flüchtlingen" (Rohn im Schulratsprotokoll SR2:1933, 23.09.1933, S. 165). Diese Angst wurde auch vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement geteilt, das am 22. April 1933 die Vergabepraxis für Aufenthaltsbewilligungen an ausländische Studierende verschärfte.

Aber entgegen den fremdenpolizeilichen Zwängen und den fremdenfeindlichen Tönen aus der organisierten Studentenschaft bezog der Schulrat bisweilen klar Stellung. Als das Justiz- und Polizeidepartement nach dem "Anschluss" Österreichs an NS-Deutschland im Frühjahr 1938 die Schweizer Konsulate anwies, ausländischen Studenten die Einreiseerlaubnis in die Schweiz zu verweigern, weil die ETH "wegen Überfüllung" keine Studierenden mehr annehmen könne, reagierte man höchst empört. "Die Fremdenpolizei ist nicht in der Lage, darüber zu urteilen, wer sich zum Studium eignet", hielt Schulrat Leo Merz 1938 scharf fest, und bedauerte überdies die "zu grosse Engherzigkeit seitens der Fremdenpolizei" bei der Vergabe von Einreisebewilligungen (Schulratsprotokolle, SR2:1938, 07.07.1938, S. 287). Wenig später warnte Merz davor, dass die Schweiz mit ihrer gegenwärtigen Politik Gefahr laufe, "die Judenverfolgung zu unterstützen und die Verfolger zu schützen" (Schulratsprotokolle, SR2:1938, 6.09.1938, S. 293).

Mit dem Linksrutsch der Studierendenorganisation in den 1960er-Jahren wich die traditionelle Ausländerfeindlichkeit der Studenten einer internationalistischen Haltung. Als der Bundesrat 1974 eine Beschränkung der ausländischen Arbeitskräfte beschloss, die auch für die ETH gelten sollte, kam es zu massivem Widerstand.

Die Verfügung, nach der keine Ausländer mehr als Angestellte, Assistenten oder wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt werden durften, behinderte die akademische Freizügigkeit so stark, dass sie umgehend durch eine liberalere Regelung ersetzt wurde (Année Politique 1974, S. 141).

Daniel Speich

   
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