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Politkarrieren

 
   
           
 

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Mehrsprachigkeit am Polytechnikum

Bereits 1854 legte das Polytechnikum ein Bekenntnis zur föderalistischen Sprach- und Kulturpflege ab. Die Umsetzung dieser nationalen Repräsentationspflicht erwies sich von Anfang an als schwierig.

"Hr. Blanchenay ist bekehrt worden und hält nun die französischen Professoren in einer deutschen Stadt auch für 'Fische ausser dem Wasser', daher er beantragt, dass an der eidg. Hochschule alle Vorträge in deutscher Sprache gehalten werden sollen; dagegen will er dann 120'000 Fr. für Entwicklung des höheren Unterrichts und eine Ecole d’application in der französischen Schweiz verwenden", berichtete die Neue Zürcher Zeitung vom 26. Januar 1854 aus der Parlamentsdebatte über die Ausgestaltung des Hochschulartikels. In den definitiven Beschlüssen zum eidgenössischen Polytechnikum fand das Plädoyer für eine nach Sprachgrenzen getrennte Hochschullandschaft allerdings kein Gehör. "Der Unterricht wird nach freier Wahl der angestellten Lehrer in der deutschen, französischen oder italienischen Sprache ertheilt", wird im Artikel 4 des "Bundesgesetzes betreffend die Errichtung einer eidgenössischen polytechnischen Schule" vom 7. Februar 1854 festgehalten. Mit dem Bekenntnis zum sprachlichen Föderalismus sollte nicht zuletzt auch das Gespenst der "Germanisirung" gebannt werden, das insbesondere die Westschweiz wiederholt gegen eine Zentralisierung des Bildungswesens mobilisiert hatte.

Wie paritätisch sind die Kantone an der ersten nationalen Hochschule vertreten? Kolorierte Ansichtskarte der ETH-Westfassade von 1902.
Wie paritätisch sind die Kantone an der ersten nationalen Hochschule vertreten? Kolorierte Ansichtskarte der ETH-Westfassade von 1902.
Schwieriger gestaltete sich die konkrete Institutionalisierung der Mehrsprachigkeit an der ersten nationalen Hochschule. Nicht nur die Herkunft der Studierenden zeigte ein deutliches deutschsprachiges Übergewicht und liess die Vertreter der Westschweiz und des Tessins als "sprachliche Minderheiten" erscheinen. Auch die meisten Professoren der ersten Stunde waren deutschsprachig und kamen grösstenteils aus den nördlichen Nachbarländern. "Ausserdem ist es schrecklich, wie es in Zürich von Gelehrten und Literaten wimmelt, man hört fast mehr Hochdeutsch, Französisch und Italienisch sprechen als unser altes Schweizerdeutsch, was früher gar nicht so gewesen ist", schrieb Gottfried Keller, eben nach Zürich zurückgekehrt, im April 1856 an eine Berliner Freundin (Keller 1951, 44).

"Ich bin vom Strom des Lebens abgeschnitten", klagte Francesco De Sanctis, Freiheitskämpfer, Exilant und erster Professor für italienische Literatur am Polytechnikum. "Mir gelingt es nicht, in die deutschen Angelegenheiten einzudringen und gleichzeitig bin ich von Italien ausgeschlossen: Ich befinde mich in einer abstrakten Situation" (De Sanctis 1913, 71).

Die Dominanz deutschsprachiger Lehrbeauftragter ist nicht nur auf die antiliberale Politik der deutschen Restaurationszeit zurückzuführen, die Kapazitäten wie Gottfried Semper oder Friedrich Theodor Vischer ins Exil trieb und eine "spröde" Kleinstadt wie Zürich zu einer attraktiven Lehrstätte erhob. Bei der Orientierungsfunktion, die das deutsche akademische System im 19. Jahrhundert für die schweizerische Hochschullandschaft besass, war es nicht weiter verwunderlich, dass Deutsch als Unterrichtssprache dominierte. Im ersten Schuljahr beispielsweise wurde nur an der Allgemeinen Abteilung in französischer Sprache doziert, in den Fächern Französische Literatur, Nationalökonomie und Handelsrecht. Ausserdem wurde der Kurs in Differential- und Integralrechnung, für die meisten Fachschulen obligatorisch, zweisprachig angeboten. Mit diesem doch eher mageren Angebot hatte die Frankophonie am Polytechnikum für längere Zeit ihren Höhepunkt erreicht.

Die Zentralisierungsgegner, die wiederholt vor einer "Germanisirung" des Polytechnikums gewarnt hatten, sahen sich durch die personellen Entwicklungen der ersten Betriebsjahre zugleich bestätigt und betrogen. Die beiläufige Erwähnung der alten Idee einer schweizerischen Gesamt-Universität durch den Nationalrat Alfred Escher genügte, um zu Beginn der 1860er-Jahre eine publizistische Kampagne gegen die "Zürcher Eisenbahnbarone" und ihr "Spekulationsgeschäft für deutsche Professoren" auszulösen. "Kein bedeutenderes Fach ist da, das ein welscher Schweizer in seiner Muttersprache studieren könnte. Ja, man habe sogar die wenigen früher ernannten französischen Lehrer unter der Hand durch deutsche ersetzt", war etwa in der Genfer Presse zu lesen.
Sprachliche Minderheit: Ansichtskarte der
Sprachliche Minderheit: Ansichtskarte der "Suisses Romands" in Zürich.

Selbst die Schwyzer-Zeitung schrieb von der "Allmacht des Deutschtums am Polytechnikum" und sah Zürich mit dem "Dunst deutschen Flüchtlingswesens", mit "aus Deutschland verjagten Träumern" angefüllt. In den Kampf um eine paritätische Besetzung der Professuren mischten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die aggressiven Diskurselemente des militanten Nationalismus.

Grund genug, die föderalistischen Repräsentationspflichten des Polytechnikums erneut zu einem Traktandum zu machen. "Da die Anstalt eine eidgenössische ist, so halten wir es für ein Gebot der Billigkeit, dass dem französisch sprechenden Theil unserer schweizerischen Bevölkerung, sowie auch den Italienern, die an Zahl fortwährend zunehmen und welche sich mit der französischen Sprache leichter befreunden, als mit der deutschen, mehr Berücksichtigung geschenkt werde", forderte die Gesellschaft ehemaliger Studirender des eidg. Polytechnikums GEP 1877 in einer Petition. Diese führte Anfang der 1880er-Jahre zur ersten grossen Reform des polytechnischen Unterrichts. Auf vielstimmiges Drängen beschloss die Bundesversammlung 1887 die Einrichtung eines jährlichen Kredits von 20'000 Franken für die Anstellung französischsprachiger Lehrkräfte. Mit diesem wurden in der Allgemeinen Abteilung zwei neue Professuren geschaffen, eine für Geschichte und Geografie sowie eine für Nationalökonomie. Die angestrebte französischsprachige Doppelprofessur für ein technisches Fach wurde hingegen nicht realisiert und auch die neuen Professuren hatten Mühe, ihr symbolisches Profil über personelle Wechsel hinweg zu behaupten.

Monika Burri

   
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