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Forschung als Privatsache

Mit der Idee eines "Nationalfonds II" für angewandte Forschung stand in den 1960er-Jahren das Verhältnis von Staat und Privaten bei der Forschungsförderung zur Debatte.

Wenn es ein "nationales Innovationssystem" der Schweiz gibt, dann zeichnet es sich durch eine hohe Forschungsintensität bei niedriger Staatsquote aus. Seit der Zwischenkriegszeit betreiben die Schweizer Unternehmen einen relativ grossen Forschungsaufwand, ohne dabei auf Finanzierungshilfen durch Steuergelder zurückzugreifen. Für das Jahr 1969 beispielsweise eruierte der Schweizerische Handels- und Industrieverein SHIV einen Gesamtaufwand für Forschung und Entwicklung von 1.7 Milliarden Franken, was ca. 2.1% des Bruttosozialproduktes der Schweiz entsprach. Von diesen Ausgaben übernahm die öffentliche Hand nur 0.3% (SHIV, 1973).

Walter Boveri (BBC) und Paul Scherrer 1956 bei der Grundsteinlegung zur Reaktor AG, einer firmenübergreifenden Kooperation im Bereich Nukleartechnik
Walter Boveri (BBC) und Paul Scherrer 1956 bei der Grundsteinlegung zur Reaktor AG, einer firmenübergreifenden Kooperation im Bereich Nukleartechnik
Dass in der Schweiz im Unterschied zu anderen Industrienationen keine nennenswerte staatliche Förderpraxis für angewandte Forschung entstanden ist, entspricht einer liberalen Ordnungsvorstellung, die Wirtschaftsvertreter immer wieder formulierten. Bereits 1942, als der Bund in Hinblick auf die befürchtete Arbeitslosigkeit bei Kriegsende durch gezielte "Förderung des technischen Fortschritts" neue Arbeitsstellen schaffen wollte, gab sich der Vorort des SHIV zurückhaltend. Der Vorortspräsident gab zu bedenken, "dass der Exportindustrie besser gedient ist, wenn ihr der Staat wenig wegnimmt und wenig schenkt, als wenn er wohl grosse Mittel für Arbeitsbeschaffung im Export aufwendet, diese jedoch der Privatwirtschaft auf dem Steuerwege entzieht." (Schreiben Hombergers an Zipfel vom 23.11.1942, in: AfZ, Vororts-Archiv XIII 200.1)

Noch 1961, als bereits seit einigen Jahren ein Nationalfonds zur Förderung der Forschung bestand, lehnten es die Wirtschaftsverbände im Prinzip ab, den Unternehmen durch Zölle und Steuern Geld zu entziehen, um es ihnen danach in Form von Subventionen wiederzugeben. Ein Vorstoss von Roger Bonvin, der ein staatliches Institut für angewandte Forschung einrichten wollte, blieb daher chancenlos. Schulratspräsident Hans Pallmann hielt in diesem Zusammenhang fest: In der Schweiz gehöre "die angewandte oder Zweckforschung nach wie vor grundsätzlich in den Bereich der Privatwirtschaft" (Schulratsprotokolle, SR2:1961, Sitzung vom 16.12.1961, S. 700).

Um die Mitte der 1960er-Jahre wurde die Arbeitsteilung, der zufolge der Staat für die Förderung der Grundlagenforschung zuständig war und die Privatwirtschaft die angewandte Forschung finanzierte, gleich mehrfach in Frage gestellt. Staatliche und private Akteure waren sich zwar einig, dass Wissenschaft und Technik zu zentralen Produktivitätsfaktoren avanciert waren und die Förderung der Forschung daher als volkswirtschaftliche Investition zu erachten sei. Aber welche Forschung man zu fördern habe, und wo die returns on investment abzuholen wären, wusste niemand genau. Überdies waren bestehende Forschungsförderungsmodelle an ihre Kapazitätsgrenzen gelangt. So entstand beispielsweise in der neuen Branche der zivilen Atomenergienutzung, in der Ende der 1950er-Jahre eine vom Staat grosszügig alimentierte Kooperation mehrerer Firmen aufgebaut worden war, ein unerwarteter Finanzbedarf. 1966 erklärte Georg Sulzer, dessen Unternehmen sich mit 20 Millionen Franken an der Eigenentwicklung eines Atomreaktors beteiligt hatte, den Ausstieg aus dem Forschungsvorhaben. "In der ganzen Welt trägt der Staat die Hauptlast dieser äusserst kostspieligen Entwicklung. Es ist eine Utopie, zu glauben, diese Summen könnten in der Schweiz von Firmen getragen werden, die – an einem internationalen Massstab gemessen – doch klein sind." (Wildi 2003, S. 241)

In diesem Kontext forderte der Genfer Ständerat Eric Choisy, der unter anderem die Schweizerische Vereinigung für Atomenergie präsidierte, vor Delegierten der Schweizer Uhrenkammer die Schaffung eines "fonds national pour la recherche technique" (Choisy, 1965). Das Projekt wurde eifrig diskutiert. Herbert Wolfer beispielsweise, Vizepräsident des Verwaltungsrats der Gebrüder Sulzer AG, nahm in der Neuen Zürcher Zeitung vom 28. April 1966 den Vorschlag wohlwollend auf und empfahl, einen "Rat zur Förderung der angewandten Forschung" in die bestehende Nationalfonds-Konstruktion einzubauen. Der Vorort bildete eine "Arbeitsgruppe Forschungspolitik", die sich mit den Vorschlägen befasste, und zusätzlich die Idee einer staatlichen Investitionsrisikogarantie diskutierte, die von BBC-Verwaltungsrat Rudolf Sontheim eingebracht worden war. Eine weitere Perspektive bestand in der Gründung einer Bank zur Finanzierung von Forschungsrisiken (Sitzungsprotokoll der AG Forschungspolitik des Vororts vom 02.11.1966, AfZ, Vororts-Archiv, XIII, 202.13).

Nach Rücksprache mit dem Wissenschaftsrat beschloss der Vorort, sich mit einer gross angelegten Enquête ein genaueres Bild über die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Schweizer Wirtschaft zu verschaffen. Überdies wurden "Leitsätze zur Errichtung einer Organisation zur Förderung der angewandten Forschung" erarbeitet, die den Sektionen des Vereins 1967 zur Stellungnahme vorlagen. Kern des Modells war eine von den Wirtschaftsverbänden getragene Organisation, die solche Projekte fördern sollte, in denen die Resultate der Grundlagenforschung für "wirtschaftliche Zwecke" nutzbar gemacht würden. Gesuchstellern wollte man zinslose Darlehen oder zumindest eine Garantie zur teilweisen Deckung des Forschungsrisikos gewähren, sofern die Resultate der Forschung der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt würden. Andernfalls müsste der Interessent, der die wirtschaftliche Verwertung übernimmt, die erhaltene Hilfe zurückerstatten. (Sitzungsprotokoll der AG Forschungspolitik des Vororts vom 10.07.1966, AfZ, Vororts-Archiv, XIII, 202.13.)

Die Reaktion der Sektionen auf den Vorschlag war freilich vernichtend. Die Chemische Industrie, die weitaus am meisten Forschung betrieb, war dem Vorhaben von Anfang an sehr skeptisch gegenüber gestanden. Typisch war die Reaktion der Schweizerischen Handelskammer: Nur neun ihrer Fachverbände hatten sich für das Vorhaben ausgesprochen, während sechs indifferent waren und sich 23 teilweise dezidiert dagegen aussprachen. Man konnte sich nicht vorstellen, dass der geplante „Nationalfonds II“ mit Beiträgen aus der Privatwirtschaft ausreichend alimentiert würde. Aber eine Stiftung zu gründen „deren erste Amtshandlung es sein würde, vom Bund Geld zu erbetteln“, erachtete man nicht als Aufgabe des Vororts. Stattdessen empfahl die Handelskammer unverbindlich, der Nationalfonds und die Hochschulen sollten vermehrt industrienahe Forschungsprojekte fördern und es sei der Kontakt zwischen Industrie und Wissenschaft generell zu verbessern. (Sitzungsprotokoll der Schweizerischen Handelskammer vom 13.09.1968, AfZ, Vororts-Archiv, XIII, 202.13)

Das Projekt eines Nationalfonds für angewandte Forschung war damit vom Tisch, noch bevor es konkret Gestalt angenommen hatte. Zwar blieb allseits akzeptiert, dass sich der Staat vermehrt in der Förderung industrienaher Forschung engagieren müsse. 1972 wurde der "Forschungsartikel" in die Bundesverfassung aufgenommen, für den der Bundesrat u. a. mit der Überlegung geworben hatte, "dass heute ein dringendes Bedürfnis nach stärkerem eidgenössischem Engagement auf dem Gebiet der nicht rein wissenschaftlich motivierten Forschungsförderung besteht" (Bundesblatt 1972, S. 419). Aber die Umsetzung dieses Förderungswillens war weiterhin umstritten. Als beispielsweise die Idee einer Innovationsrisikogarantie zu Beginn der 1980er-Jahre erneut aufkam, ergriffen Arbeitgeber- und Unternehmerverbände das Referendum und brachten die Vorlage 1985 zu Fall (Straumann 2001).

Daniel Speich

   
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