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Der Schulrat

Die Führungsstruktur des Polytechnikums wurde 1854 als Präsidialsystem angelegt. Dem obersten Leitungsgremium, dem schweizerischen Schulrat, stand ein Schulratspräsident vor.

Vorbild für die Wahl eines Präsidialsystems war die während der französischen Revolution gegründete Ecole Polytechnique in Paris. Ähnlich wie der politisch-militärische Kontext für Paris – dort war der Schulleiter gar General – spiegelte sich in dieser Entscheidung der gesellschaftspolitische Rahmen des jungen schweizerischen Bundesstaates: Das Polytechnikum wurde als "Regiebetrieb des Bundes" und nicht als Hochschule gegründet (Gugerli et al. 2005). Dies schlägt sich vor allem darin nieder, dass mit dem Präsidialsystem der Verzicht auf universitäre Selbstverwaltung einherging, wie sie einer Hochschule entsprochen hätte. So schrieb das Gründungsgesetz der polytechnischen Schule analog zur Konstitution des Bundesrates fest, dass jedes Mitglied des Schulrates aus einem anderen Kanton stammen musste. Neben diesem Grundsatz galten für die Bestimmung der Schulräte die gleichen informellen Regeln wie bei den Wahlen in die Landesregierung. Der Bundesrat, der die fünf, bzw. seit 1881 sieben, Schulräte ernannte und dem der Schulrat direkt unterstellt war, hatte auf eine angemessene Vertretung der Regionen, Religionen und Sprachen zu achten. Seit 1881 waren ausserdem die "technischen Berufsrichtungen" zu berücksichtigen (Gugerli et al. 2005).

Die Semper-Aula 1905
Die Semper-Aula 1905
Damit gründete sich die Autorität des Schulrates im 19. Jahrhundert nicht auf akademische Reputation, sondern rührte von ausserwissenschaftlichen Normen her. Zudem war der Präsident gegenüber den Schulratsmitgliedern, insbesondere aber dem Direktor und dem Professorenkollegium, nicht primus inter pares. Seine Rolle schwankte nach Meinung von Beteiligten bis Ende der 1980er-Jahre vielmehr zwischen absolutem Herrscher und aufgeklärtem Monarchen.

Im Unterschied zu den Gepflogenheiten an Universitäten war der Schulratspräsident beispielsweise für Berufungen allein zuständig. Die Vorbereitungen einer Neuwahl konnte er, musste er aber nicht, an Kommissionen delegieren. Für die Fachschulen resp. Abteilungen, die etwa den Universitätsfakultäten entsprachen, fielen Berufungen somit in der Regel als zentrales Kommunikationsereignis aus. Sie waren keine der ohnehin seltenen Gelegenheiten, bei der die Standards der Disziplin, in der ein neuer Lehrstuhl ausgeschrieben war, kollektiv evaluiert und neu austariert wurden.

Dies erschwerte den ETH-Abteilungen nicht zuletzt auch eine eigene Profilierung. An den in der Öffentlichkeit sichtbaren Schulratspräsidenten wurden zudem breit gestreute industrielle Interessen herangetragen. Er war ein gesuchter Ansprechpartner für die Maschinenbau-, Elektro- oder Chemieindustrie, aber auch private Vereine, und konnte damit so manchen Wissensvorsprung für sich verbuchen.

Deckblatt des ersten Schulratsprotokolls vom 27. September 1854.
Deckblatt des ersten Schulratsprotokolls vom 27. September 1854.

Nicht nur, dass jeder Professor seine Stelle direkt dem Präsidenten zu verdanken hatte und damit persönliche Abhängigkeitsverhältnisse entstanden; die bis vor kurzem aussergewöhnlich langen Amtszeiten der Präsidenten, die den Vergleich mit monarchischen Strukturen erst nahe legten, trugen zur intimen Kenntnis der organisationellen Eigenheiten und Reibungswiderstände wesentlich bei. Der Präsident konnte genügend Erfahrung mit der Handlungslogik und den Entscheidungsrhythmen von Verwaltungsgremien und Professorenschaft sammeln. Ausserdem: Wer Generationen von Studierenden kommen und gehen sieht, dem kann die Strategie des Aussitzens schon einmal sinnvoll erscheinen. Die Nachfolger des ersten Präsidenten Johann Konrad Kern, der das Polytechnikum 1857 nach drei Jahren verliess, blieben im Schnitt über 20 Jahre im Amt: Karl Kappeler (Präsident 1857–1888), Hermann Bleuler (1888–1905), Robert Gnehm (1905–1926), Arthur Rohn (1926–1948) und Hans Pallmann (1949–1965). Als 1971 der ehemalige ETH-Rektor Karl Schmid dem ehemaligen Schulratssekretär Hans Bosshardt zum 70. Geburtstag gratulierte, erinnerte er an die Ära Rohn, die Bosshardt bis 1966 noch um knapp 20 Jahre Amtszeit überrundet hatte. Damals sei die ETH "so etwas wie eine aufgeklärte Monarchie" gewesen. "Der Monarch hiess Rohn, die Aufklärung stammte eher von Ihnen" (Schmid 2000, 1129).

Tatsächlich lesen sich die ETH-Schulratsprotokolle stellenweise wie Regieanweisungen für höfisches Theater, etwa als die Studierendenvertreter 1969 im Namen der Mitbestimmung Einsitz im Schulrat verlangten. "Es erscheinen die Herren Ernst Peter Kündig stud. chem. und Ernst Wyden stud. arch. als Vertreter des VSETH". Ihr Abgang ist folgendermassen vermerkt: "Die Herren Kündig und Wyden verlassen die Sitzung" (Schulratsprotokolle, SR2:1969, Sitzung vom 18.4.1969, 272 und 277).

1980 sprach der VSETH hinsichtlich Heinrich Ursprungs Führungsstil dann wieder schlicht von "Absolutismus" (VSETH 1980, 2a). Zur selben Zeit beklagte ein Schulratsmitglied, dass das "geschäftliche Schwergewicht" auf dem mittlerweile eingerichteten Präsidialausschuss und dem ETH-Präsidenten liege. Der Schulrat selbst komme ihm immer mehr wie ein "Ja-Sager-Klub" vor (Schulratsprotokolle, SR2:1980, Sitzung vom 19.2.1980, 7).

Ungeachtet solcher persönlicher Machtallokationen wuchs der administrative Apparat, und seine zunehmende Elektronisierung veränderte den Verwaltungsalltag vollständig. Noch einmal aus Karl Schmids Portrait des letzten universell tätigen Schulratssekretärs Bosshardt: "Damals hiess es: 'Da muss man den Doktor Bosshardt fragen'. ... Wenn man sich an Sie gewendet hat, war es das eine Mal der Schulratssekretär, ein anderes Mal war der Jurist gemeint; oft war's der Studienberater, oder, wie man heute sagen würde, der Sozialreferent, oder der Sportreferent, oder Flüchtlingsbetreuer. Ihr Nachfolger ist nicht eine Person, sondern ein ganzer Berufsverband" (Schmid 2000, 1129).

Die personelle Ausdifferenzierung der Schulleitung hat auch ihr altes und weiterhin zentrales Kerngeschäft erfasst, die Berufungen. Angesichts der schieren Zahl der anstehenden Berufungen ging ETH-Präsident Hans Bühlmann 1988 dazu über, den Vorsitz der nun regelmässig eingerichteten Wahlkommissionen abzugeben, was sich seither durchgesetzt hat (Eichenberger 2001, 1). Dennoch bleibt die Berufungskompetenz letztlich beim ETH-Präsidenten, eine Konstellation, der man neuerdings wieder positive Qualitäten abgewinnt, scheint sie doch dem aktuellen Personalmanagement in der Wirtschaft angemessen: Berufungsverfahren können auf diese Weise die Gestalt eines mehr oder weniger diskreten Head Huntings annehmen.

Andrea Westermann

   
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