ETHistory 1855-2005

010406


Golden Rice und Genweizen

Seit den 1970er-Jahren ist die Wissenschaft mit dem Einfluss von Gegenexperten konfrontiert, insbesondere Forschungsbereiche der Biowissenschaften werden immer stärker durch die Logik von Politik und Medien bestimmt. An der ETH bekamen und bekommen das die Entwickler von gentechnisch veränderten Pflanzen sehr deutlich zu spüren.

Am 18. März 2004 war es soweit: Das Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH Zürich konnte auf acht Quadratmetern Übungsfläche der Versuchsstation Lindau-Eschikon seinen seit 1996 entwickelten gentechnisch veränderten KP4-Weizen aussäen. Ziel des vom Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekts war die Herstellung eines Weizen-Prototyps, der gegen die Pilzkrankheit Stinkbrand weniger anfällig ist und so bei Anbau und Lagerung weniger Fungizide benötigt.

Das unter der Leitung des Zellbiologen Christof Sautter durchgeführte Feldexperiment, als Abschluss einer grundlagenwissenschaftlichen Versuchsanordnung konzipiert, hätte bereits im Frühjahr 2000 stattfinden sollen. Doch das Freisetzungsgesuch, im Herbst 1999 beim Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft BUWAL erstmals deponiert, war ein Präzedenzfall und setzte entsprechende Verfahrens-Mühlen in Gang. Von Umweltschutzaktivistinnen und Gentechnologie-Gegnern wurde der Freilandversuch aufgrund seiner juristischen "Türöffnerfunktion" vehement bekämpft und mit inhaltlichen und verfahrenstechnischen Einsprachen zu verhindern versucht. Auch den Bundesbehörden kam das Gesuch wenig gelegen, befand sich doch das Umweltschutzgesetz gerade in Überarbeitung: Das dritte in der Schweiz gestellte Gesuch für einen Feldversuch mit gentechnisch veränderten Pflanzen wollte das BUWAL nicht mehr nach alten Richtlinien beurteilen. In den 2001 geführten Parlamentsdebatten zur so genannten "Gen-Lex" zeichneten sich gesetzgeberische Präzisierungen und Verschärfungen ab.
" Gib dem Gentech-Weizen keine Chance": Greenpeace-Plakat gegen ETH-Feldversuch.
"Gib dem Gentech-Weizen keine Chance": Greenpeace-Plakat gegen ETH-Feldversuch.
Mit der Technikfolgenabschätzung hat sich seit den 1970er-Jahren ein neuer Modus der Technik- und Wissenschaftsbewertung etabliert, der immer mehr staatliche und zivilgesellschaftliche Gruppierungen beteiligte. Es ist "voraussehbar, dass es kein Ende der beschriebenen Spirale von Sicherheitserwartungen, Inflationierung der Expertise, Erzeugung von Kontroversen und Enttäuschung der Sicherheitserwartungen geben wird", schreibt der Soziologe Peter Weingart in "Die Stunde der Wahrheit?", seiner 2001 veröffentlichten Analyse der Wissensgesellschaft. Die Konkurrenz um die jeweils beste Expertise, um das jeweils neueste Wissen, um die überzeugendsten Argumente führe zu einer Diskursivierung der Wissensproduktion, der eine partikularisierte, an den Prinzipien der Forschungsfreiheit orientierte Wissenschaft nicht immer gewachsen sei. Die Nähe von Medien und Wissenschaft bedeute für die akademische Forschung ein Glaubwürdigkeitsproblem und für die Gesellschaft ein "Problem des Erhalts einer Quelle verlässlichen Wissens" (Weingart 2001, 168). Insbesondere in der gentechnologischen Forschung zeigt sich der Legitimationsverlust der Wissenschaft sehr deutlich.
"Nein zum unnötigen und riskanten Gentech-Experiment im Freiland": Greenpeace-Borschüre vom Frühjahr 2004.
"Nein zum unnötigen und riskanten Gentech-Experiment im Freiland". Greenpeace-Borschüre vom Frühjahr 2004.

So half der ab 2001 von der ETH bemühte "Dialog mit Bevölkerung und Behörden" kaum, die hochfliegenden Ängste abzubauen. Die Bundesbehörden blieben skeptisch und legten das Freisetzungsgesuch den Experten zur Begutachtung vor. Die Einschätzung fiel unterschiedlich aus: Während die Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit EFBS, die Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich EKAH sowie die Bundesämter für Gesundheit, für Landwirtschaft und für Veterinärwesen laut Berichterstattung der Neuen Zürcher Zeitung "keine zwingenden Gründe sahen, das Gesuch abzulehnen", erhoben der Kanton Zürich sowie ein vom BUWAL beauftragter externer Experte "einige Einwände gegen den Versuch" (NZZ, 21.11.2001). Dass das BUWAL den Antrag der ETH im November 2001 trotz der mehrheitlich positiven Einschätzung ablehnte, führte zu demonstrativen Rücktritten: "Die EFBS ist eine reine Alibiübung", begründete Kommissionspräsident Ricardo Wittek seinen vorzeitigen Abgang. "Mehr als drei Jahre nach der Genschutz-Initiative, die das Schweizervolk abgelehnt hat, brechen in der Gentech-Diskussion die alten Fronten neu auf", kommentierte die Wochenzeitschrift Weltwoche den medialen Hochbetrieb rund um das Forschungsgesuch der ETH (Weltwoche, 22.11.2001).

Eine postwendende Verfahrensbeschwerde der ETH, eingereicht beim Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, wurde daraufhin gutgeheissen. Das juristische Hin und Her dauerte jedoch an. Nachdem die ETH zunächst – nach einer erneuten Einsprache von Anwohnern, IP Suisse und Greenpeace – einen Abbruch der Übung in Betracht gezogen hatte, präsentierte sie Mitte 2003 einen aktualisierten Antrag, der im Herbst 2003 wiederum mit "strengeren Auflagen" bewilligt wurde. "Die vom BUWAL (...) geforderten Massnahmen sind bei näherem Hinschauen so neu nicht", bemerkte die Online-Zeitung ETH Life vom 31. Oktober 2003. Eine fünfköpfige Begleitgruppe für den Versuch, zusammengesetzt aus Vertretern des BUWAL, des Kantons Zürich, der Gemeinde Lindau und der Wissenschaft, existiere bereits. Die Schutzzelte gegen Pollenflug, die Überprüfung des Verbleibs gentechnischer veränderter Organismen im Boden sowie die intensive Überwachung der Testparzelle während der Blütezeit seien bereits in den vorangegangenen Gesuchen festgehalten worden.

"Der Luxusprotest gegen die Genindustrie": Titelgeschichte im Magazin des Tages-Anzeigers, 10.2.2001.
"Der Luxusprotest gegen die Genindustrie": Titelgeschichte im Magazin des Tages-Anzeigers, 10.2.2001.
"Das Kunststück besteht heute darin, den Sinn vom offenbaren Unsinn zu trennen. Denn Zeit und Kosten spielen für unsere Arbeit eine entscheidende Rolle", hatte schon Christof Sautters ehemaliger Chef festgestellt (FAZ, 22.1.2001). Zusammen mit dem Freiburger Biochemiker Peter Beyer hatte Ingo Potrykus, von 1987 bis 1999 ordentlicher Professor für Pflanzenwissenschaften an der ETH Zürich, den berühmten Golden Rice entwickelt. Dieser ist mit Beta-Karotin angereichert, mit ihm sollen der "Welthunger" sowie die in den Tropen verbreiteten Mangelerkrankungen bekämpft werden. Im Jahr 1992 hatten die Forscher mit Mitteln der Rockefeller-Stiftung begonnen, entsprechende Gene aus Narzissen und Bakterien in konventionellen Reis einzuschleusen. Über acht Jahre dauerte es, bis ganze Stoffwechselketten genetisch transplantiert werden konnten. Als im Frühjahr 1999 die ersten transgenen Pflanzen gewachsen waren, stiessen die Erfinder auf ihnen unverständlichen Widerstand: Umweltaktivistinnen und Gentech-Kritiker mobilisierten gegen das "Trojanische Pferd" der grünen Gentechnologie und warnten vor einem karitativ bemäntelten Profitstreben der "Agro-Multis".
"Swiss Professor Ingo Potrykus with his beta-carotene-enriched rice": Time-Cover vom 31.7.2000.
"Swiss Professor Ingo Potrykus with his beta-carotene-enriched rice": Time-Cover vom 31.7.2000.
Trotzdem hört sich die Karriere dieses an der ETH entwickelten Nahrungsangebots mittlerweile ziemlich erfolgreich an: Anfang 2001 wurde der aufgrund seiner Gelbfärbung Golden Rice genannte Vitaminreis dem renommierten Internationalen Reisforschungsinstitut IRRI in Los Banos auf den Philippinen übergeben. Dort und an anderen Forschungseinrichtungen wird der Reis mit lokalen Varietäten gekreuzt und für Feldversuche vorbereitet. Die US-amerikanischen National Institutes of Health starteten im November 2004 einen aufwändigen Versuch, um die Wechselwirkungen zwischen dem Golden Rice und dem menschlichen Körper zu erforschen. Und nicht zuletzt ist es den Wissenschaftlern gelungen, die "humanitäre Nutzung" ihrer Erfindung sicherzustellen: Sechs Weltkonzerne hatten sich bereit erklärt, auf die fälligen Lizenzgebühren zu verzichten, wenn ein Betrieb in den Entwicklungsländern aus den Verkauf des Golden Rice nicht mehr als 10'000 Dollar im Jahr erwirtschaftet.

"Monatelang haben Potrykus und Beyer für diese Verträge gekämpft. Mit der Freigabe gleich mehrerer Patente ist ihnen ein in der Wissenschafts- und Industriegeschichte bisher einmaliger Coup gelungen", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Januar 2001. Gleichwohl wurde den Forschern, insbesondere in Europa, viel Häme zuteil: Um den Tagesbedarf an Vitamin A mit Golden Rice zu decken, müsse eine erwachsene Person neun Kilo Reis essen, lautet eines der Standardargumente der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Diese räumt dem Golden Rice zwar einen anderen "moralischen Kontext" ein als "irgendeiner herbizidresistenten Nutzpflanze", bekämpft ihn aber trotzdem mit betont populistischen Mitteln. "Der Golden Rice ist noch kein fertiges Produkt, die Reissorten müssen erst entwickelt werden", musste die Wissenschaft wiederholt klarstellen.  Mittlerweile sind gentechnisch veränderte Reislinien entwickelt worden, mit denen der Tagesgrundbedarf an Pro-Vitamin-A im Rahmen normaler Mahlzeiten aus 70 Gramm Reis gedeckt werden kann.

Monika Burri


Materialien


© 2005 ETHistory 1855-2005 | Last update: 3.10.2005 |
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